Bewertung und Kritik zu
SPIEGELNEURONEN
Stefan Kaegi / Sasha Waltz & Guests mit Rimini Protokoll
Premiere: 14. August 2024
Salzburger Festspiele (Szene Salzburg)
Deutschland-Premiere: 29. August 2024
Radialsystem V - Berlin
Zum Inhalt: Dieses Stück ist ein Experiment. In jeder Aufführung von neuem. Es geht um das menschliche Gehirn und sein Verhältnis zum Körper. Das Publikum ist ein wesentlicher Teil des Experiments, denn es ist eingeladen, nicht nur Tanz zu beobachten, sondern sich auch selbst zu bewegen, von seinem Sitzplatz aus als aktiver Teil eines gemeinsamen Systems zu agieren, sich selbst als Teil einer Art großen Gehirns zu erleben.
Spiegelneuronen ist die erste Zusammenarbeit von Sasha Waltz & Guests und dem Dokumentartheaterlabel Rimini Protokoll. Damit setzt die Tanzcompagnie die Öffnung für neue Handschriften sowie ihr Interesse an künstlerischer Recherche und genreübergreifender Zusammenarbeit mit internationalen Künstler·innen zur Erweiterung ihres Repertoires fort. Aus sehr unterschiedlichen Richtungen kommend, interessieren sich beide Compagnien für die ungewöhnliche Bespielung von Räumen sowie die interdisziplinäre Arbeit. Nun untersucht Stefan Kaegi gemeinsam mit Tänzer·innen von Sasha Waltz & Guests sowie dem Publikum das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft mit den Mitteln des Tanzes vor einem großen Spiegel.
Spiegel haben in Ballettproberäumen eine lange Tradition. Historisch hatten sie dort vor allem eine normative Funktion, dienten sie doch der Perfektionierung des Corps de Ballet, einem durch Disziplin und Drill synchronisierten Gesamtkörper aus einem ganzen Chor von Tänzer·innen. Kein Wunder, dass dieser Spiegel parallel zum Aufstieg des Individuums und der subjektiven Freiheit im modernen und zeitgenössischen Tanz an Bedeutung verlor. Dieser dokumentarische Tanzabend richtet den Spiegel nun auf das Publikum zurück und bezieht es als Subjekt der Betrachtung ins Experiment mit ein.
Ein Spiegel wird in diesem Abend da installiert, wo normalerweise die Bühne ist. Er reflektiert nicht nur die Tänzer·innen, sondern wie ein gigantisches Selfie die ganze Tribüne mitsamt dem Publikum. So wird, ähnlich wie bei Aktionen des Performancekünstlers Dan Graham in den 1970er-Jahren, der Zuschauerraum zum Hauptaktionsort. Das Publikum rückt im Austausch mit den Tänzer·innen selbst ins Zentrum der choreografischen Bewegungen und erlebt sich beim „Verkörpern“ von komplexen Bildern.