Von Hakan Savas Mican, Hausautor des Berliner Gorkitheaters, Spezialist für politisches- (
https://www.gorki.de/de/schwarzer-block) und Literaturtheater (
https://www.gorki.de/de/die-nacht-von-lissabon), das er mit heutigen Problemen verwebt, wird momentan ( Premiere 9.10.21) das Kammerspiel: „BERLIN Karl-Marx-Platz – Ein Liebeslied“ in der Neuköllner Oper gegeben. Auf einer Bühne, wo die Musiker in gebührenden Abständen sitzen, spielen drei Frauen und ein Mann eine Familiengeschichte im Berlin der 90er Jahre, die von Filmsequenzen und Chansons begleitet wird. Die Musiker (Trompete, Gitarre, Violonchello, Oud, Kontrabass, Percussion und Klavier) nehmen ab und an auch Statistenrollen wahr.
Die Familiengeschichte ist so seltsam wie unbegreiflich: Ein Deutschtürke, Cem, der zweiten Generation verliebt sich in ein DDR-Mädchen, Lisa, aus Marzahn. Er ist Sprayer, sie vertickt Zigaretten, für beide haben seine Anne und ihre Oma andere Pläne, sie soll Opernsängerin, er soll Arzt werden, wie sie einen eigenen Weg finden, bzw. daran scheitern, ist der Inhalt des Stückes. Der aufklärerische Wert des Stückes in der zwangsweisen Verbindung komplett gegensätzlicher und oft sogar verfeindeter sozialer und historisch vollkommen unterschiedlich entwickelter Herkunfts-Gruppen ist eine gute Idee, das Stück aber leider in vielen Teilen zu gewollt und plakativ. Die Schauspieler (Lisa: Alida Stricker, und Hasan H.Tasgin) dazu Berivan Mara Kaya(Ana) und Rita Feldmüller (Oma), spielen dabei richtig gut, ihre Figuren sind glaubwürdig gestaltet, behalten immer ihre Würde, sind realistisch angelegt. Das Problem ist die fehlende Verdichtung, das dramaturgische Auseinanderfallen der einzelnen Erzählblöcke und die Lieder. Die Instrumentalmusik ist sehr gut, die Lieder leider zum Fremdschämen kitschig. Das ist sehr schade, obgleich die Texte von großen Dichtern (Nazim Hikmet, Rainer Maria Rilke, Orhan Veli Kanik) stammen. Aber ein Mensch kann nicht alles sein: Regisseur, Filmautor, Literaturkenner, Politischer Theatermacher und Chansonnier. Was schade ist, klar, man möchte gern alles sein, aber in diesem Fall sind jedenfalls bei den Liedern Melodie und Texte oft nicht passend aufeinander abgestimmt und ausgesucht worden, daher wirkt deren Darbietung, trotz guter gesanglicher Fähigkeit, theatralisch und unecht. Aber die ganze Familiengeschichte wirkt, als sei sie zu sehr am Reißbrett entstanden. Man kann alles voraussehen. Es gibt keine Höhepunkte, die Figuren bekommen keine tiefgründige Struktur, sie bleiben an der Oberfläche. So fragt man sich, was ist da eigentlich gespielt worden? Und warum spielt das Kind so überhaupt keine Rolle? Die Karrierebesessenheit der Lisa wird in zig Variationen durchgespielt, die Weiterentwicklung des Cem ist ein ewiges Scheitern, bald gibt es Im Ablauf Längen, Langeweile. Das Ganze soll auch noch eine Berliner Heimat-Trilogie werden. (Berlin Oranienplatz, Berlin Kleistpark)
Trotzdem gibt es einzelne, sehr originelle Szenen, diese gehören zu den stärksten Teilen des Stückes: Wo sich in den Dialogen zwischen Oma Gabi und Lisa sowie Anne und Cem, die Trauer über die verlorenen Lebensziele der älteren Frauengeneration zeigt und daraus die überbordenden Zukunfts-Wünsche für ihre Kinder erklären. Unauflösliche Widersprüche, denn die Bürde fremder Lebensziele ist zu groß, sie erdrückt, statt anzuregen. Aus diesem Stoff hätte man mehr machen können. Sehr schade, denn die Idee ist natürlich super gewesen.
Anja Röhl
https://anjaroehl.de/