Kritik
Ein junger Mann schwelgt in Erinnerungen, er erzählt die Geschichte seiner Familie, wie er sich an sie erinnert. Er erzählt von seiner Mutter, von seiner Schwester und von den zwei Männern, die für seine Geschichte wichtig sind. Einer wird gar nicht erscheinen, er wird nur oft erwähnt und für vieles verantwortlich sein: der Vater. Ohne ein Wort verließ er die Familie bereits vor vielen Jahren. Und der andere wird nur kurz erscheinen, im letzten Teil der Erzählung. Nachdem er das Publikum so vorbereitet hat, verschwindet der junge Mann kurz hinter dem Vorhang und ist nun statt Erzähler einer der Mitspielenden.
Die 1930er Jahre, eine kleine Seitenstraße in St. Louis. Eine kleine Wohnung in der drei Menschen zusammenwohnen: Amanda Wingfield ( Anna Thalbach ), die Mutter und ihre beiden Kinder Tom ( Louis Held ) und Laura ( Nellie Thalbach ), beide junge Erwachsene. Nachdem der Vater die Familie auf der Suche nach dem Glück verlassen hat, hängt er nun nur noch als düsterer Erinnerungsschatten über dem Haushalt. Amanda ist noch immer verletzt, noch immer voller Unglauben. Schließlich war sie eine grandiose Südstaatenbelle! Einmal warteten ihr tatsächlich nicht weniger als siebzehn Verehrer an einem einzigen Nachmittag auf! Und aus all diesen Charmeuren mit großer Zukunft suchte sie sich gerade den heraus, der sie dann verließ und mittellos und mit zwei Kindern zurückließ. Amanda hängt nun all ihre Zukunftshoffnung und all ihre Sehnsüchte an ihre Kinder.
Tom ackert in einem langweiligen, mies bezahlten Hilfsjob, um seine Familie zu unterstützen. Er hat große Ideen und große Träume, die unter der Last seiner Verantwortung aber immer kleiner und kleiner zu werden scheinen. Um seiner sich ständig einmischenden Mutter zu entkommen, flieht er so oft wie es nur geht ins Kino und bleibt oft stundenlang aus, was seine Mutter wiederum besorgt, sie zu neuen Einmischungen und Vorträgen antreibt und ihn wieder aus dem Haus. Laura ist stumme Zeugin dieses Teufelskreises. Sie hat eine leichte Behinderung, die in ihrem eigenen Kopf allerdings gigantisch groß ist und jedes normale Leben für sie unmöglich macht. Statt am wahren Leben teilzuhaben, hat sie sich eine eigene kleine Welt geschaffen, in der sie sich wohl und sicher fühlt. Sie spielt die alten Schallplatten ihres Vaters und hegt und pflegt ihre Glasmenagerie, eine Sammlung von zerbrechlichen kleinen Glasfigürinchen.
Für alle Familienmitglieder ändert sich alles, als der Plan der Mutter, Laura endlich unter die Haube zu bringen, erste Früchte zeigt. Tom hat, nach langem Genörgel und Getrietze, endlich eingewilligt und hat einen Arbeitskollegen zum Abendessen eingeladen, damit Laura ihn treffen kann. Während Amanda sich vor Aufregung beinahe überschlägt und mit den Vorbereitungen vollkommen übertreibt, ist der schüchternen Laura vor Aufregung schlecht. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten trifft sie den charmanten Jim O’Connor ( Sven Scheele ) dann aber doch noch und das Schicksal nimmt seinen Lauf.
Ein wunderbares Stück, heute (15.11.) und im Januar (8. und 9.) habt ihr nochmal die Chance es zu sehen, Regie führt Katharina Thalbach und ihre Tochter und Enkelin spielen die Hauptrollen, beide einfach unheimlich gut. Ob Anna Thalbach als ehemals reiche Südstaatenbelle, die verbissen und voller Inbrunst an altem Glanz hängt oder Nellie Thalbach als sanfte und schüchterne Laura, die keinen Ärger wünscht und sich dem Diktat der Mutter beugt. Beide sind einfach wunderbar in ihren grundverschiedenen Rollen. Die Mutter nimmt mit ihrem Wesen, ihrer Lautstärke, ihren Wünschen immer mehr Raum ein und man kann beinahe sehen, wie sich Laura immer kleiner und kleiner macht, während für den aufmüpfigeren und freiheitsliebenden Tom schließlich einfach kein Platz mehr da ist.
Auch die schöne Bühnendekoration mit den südstaatenhaft hellen Leinenvorhängen, die sich mit der Situation drehen können, tut das Ihrige, um den Zuschauer in die Familiengeschichte hineinschlüpfen zu lassen.
©Nicole Haarhoff