Man könnte eine Beurteilung dieses Stückes, das eine Zumutung für alle Beteiligten war, in dem Satz zusammenfassen: Nie wieder RambaZamba! Offenbar handelt es sich um Jakob Höhnes Rache an seiner Mutter, denn er zerstört hier das RambaZamba-Theater in seinen Grundfesten. Wo Inhalt und Form immer eine feste Verbindung eingingen, bricht hier alles auseinander, wo emanzipativer Inhalt durch Menschen mit Behinderung künstlerisch-aufklärerisch gestaltet wurde, ist hier alles zur Farce, zum großen Gebrüll geworden. Wo Menschen mit Behinderungen sonst immer in ihrer großen besonderen Würde gezeigt wurden, verlieren sie hier in allem.
Das Stück „Aerocirkus“ ist eine Zumutung, ein Anschlag auf das Theater-Konzept, ein Reinfall, aber leider auch typisch für die neue Ausrichtung des berühmten innovativen Theaters, seit es Jakob Höhne übernahm. Dieser Regisseur scheint sich zu sagen: In den Mülleimer mit dem Weg der Selbstbestimmung der Menschen mit Behinderungen, zurück zur Herabwürdigung ihres Menschseins in den Status von Ausstattungs-Gegenständen. Und wo früher das Theater die Menschen mit geistigen Einschränkungen aus dem Objektstatus zu befreien suchte und entgegen allen Zuschreibungen zu Subjekten ihrer eigenen gesellschaftlichen Situation zu machen strebte, und damit ihnen und uns Bewältigung dieses gesellschaftlichen Problems ermöglichte, da wurde hier jeder papierenen Drahtpuppe mehr Aufmerksamkeit gewidmet als den ursprünglichen Schauspielern des RambaZambaTheaters, die solche mit Behinderungen und Einschränkungen sind.
Ein formal überbetonter, kitschiger, inhaltsleerer und geisttötender Modernismus erschlug in dieser Aufführung einfach alles. Der distopische Text von planetarer Zerstörung war selbstüberheblich, albern, dumm und grobschlächtig, im besten Falle dadaistisch zerhackt, im vielen Teilen völlig inhaltsleer und unverständlich, Worte und Sätze passten nicht zueinander, dazu eine völlig unpoetische Sprache. Das Auswendiglernen eines solchen Textes ist Gewalt, Zumutung, von niemandem zu schaffen, daher passierten Hänger, logisch. Dann musste die inhaltliche Leere durch eine Überbetonung des Formalen permanent ausgeglichen werden: Elefanten, Nashörner, Nilpferde traten in Übergröße auf, Artisten hatten ihre Auftritte, alles kam mit großem Getöse daher, grell, glitzernd, laut. Die Schauspieler des Rambazamba, die auf Basis von Behindertenwerkstätten arbeiten (mit 67.- Monatsverdienst), die, wie ich erfuhr, nicht mal ihre Filmgage behalten dürfen, wenn sie für Filme gebucht werden, saßen überwiegend links unten. Sie spielten nicht mit, sie waren zu Statisten geworden. Sie langweilten sich. Sie und ihre Probleme kamen in diesem Stück nicht vor. Das Publikum langweilte sich auch. Nichts und niemand spielte eine Rolle. Wie schwer sowas zu üben ist, will ich mir gar nicht ausmalen.
Und dann: Die Nichtbehinderten machten das Rennen. Die Artisten beeindruckten durch nirgends eingeschränkte Körpergelenkigkeit, die Orakelfrau hielt sprachlich ohne Einschränkungen gelernte Endlos-Monologe, das Bühnenbildnerteam hat riesenhafte Großtiere fotografisch-naturalistisch nachgestaltet, bestimmt alles sogenannte „Gäste“, mit guter Gage, und nicht behindert im Sinne des Tarifs der Behindertenwerkstatt. Oben hinter dem Publikum durften dann wieder Schauspieler mit seltenen Genzusammenstellungen primitives Gebrüll auf die Bühne bringen, neben Puppen mit aufklappenden Mündern und Gewalt-Sexszenen, völlig unklar, was das sollte. Es war zum Fremdschämen, was man ihnen und uns zumutete. Die Sinnentleerung musste, damit man nicht einschlief, durch künstlich aufgereizte Emotionalisierung wettgemacht werden, Worte und Satzfetzen wurden permanent wütend herausgebrüllt. Wer war gemeint, und warum die Wut, es erschloss sich nicht. Dazu noch der Beginn: Das Publikum wurde 30 Minuten auf dunkler Bühne mit den Spielern zusammen eingesperrt. Alle mussten stehen, die Spielerinnen hatten kleine pantomimisch hübsche Einlagen, aber niemand sah sie. Denn das Publikum stand mit Mänteln um sie herum, wusste nicht, was es sollte und fror. Einzelne ließen sich Stühle bringen. Nichts geschah. Wow, wie modernistisch, wie schlau, wenn man die tradierten Erwartungen so schön enttäuscht! Sicher war das alles sehr gut dialektisch durchdacht. Oh nein, es war grauenvoll! Ist dies das Ende des RambaZamba-Theaters? Hoffentlich nicht! Wer schreitet ein? Wer rettet das einzigartige Konzept dieses Theaters, dass doch der Beginn von Selbstermächtigung von Behinderung in der Theaterwelt überhaupt war. Wer hat das hier vergessen?
Ich weiß nicht, warum die selbstbewussten Schauspieler:innen, die ja schon berühmte Namen tragen, Juliana Götze, Sebastián Urbanski, Nele Winkler u.a., sich das gefallen gelassen haben und nicht längst davongelaufen sind. Aber, nun ja, wenn man in Wahrheit nur den Lohn einer Behindertenwerkstatt bekommt, was soll Mann und Frau da machen? Ich habe mich derart geärgert über das, was da für ein Schund auf die Bühne gebracht und mit was für einem grauenvollen Text die großartigen Spieler:innen beleidigt und gequält wurden, dass ich nicht bis zum Ende dableiben konnte. Mit mir gingen noch andere: Zu grell, zu laut, zu aufdringlich, das waren deren Kommentare.
Ich bin für eine Palastrevolution im RambaZamba Theater und dafür, dass die Gründerin Gisela Höhne ihr Theater auf schnellstem Wege zurückerhalten sollte. Gibt es keine anderen Intendanten für so ein großartiges Haus? Und kann man nicht gerechter umgehen mit den Spielenden? Dieses Theater hat niemals eine Chance, wenn es den wichtigsten Grundsatz ihres Konzepts aufgibt: Menschen mit Behinderungen als Subjekte die Bühne bestimmen lassen.
Anja Röhl