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Haus der Berliner Festspiele
www.berlinerfestspiele.de
Schaperstraße 24 - 10719 Berlin
Telefon: 030 254 89-0

SPIELPLAN & KARTEN

Aerocircus

Bewertung und Kritik zu

AEROCIRCUS 
RambaZamba Theater & Tomás Saraceno
 
Regie: Jacob Höhne 
Premiere: 6. Dezember 2023
Haus der Berliner Festspiele 

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Zum Inhalt: Auf einem ökologisch verwüsteten Planeten sind die Bühnen verlassen. Allein ein fliegender Zirkus bewahrt in seinem karnevalistischen Archiv die kühnsten Träume vom längst entschwundenen Menschen. Dieser „Aerocircus“ beschwört das Bild von Wesen ohne feste Grenzen, die immer wieder neu ausgelotet und erkundet werden wollen. In einer doppelbödigen Manege wird ein vom Menschen nicht länger besiedeltes Morgen visioniert, um auf die verlorene Zukunft einzuwirken. Mit der Zeit beginnt das Ensemble des Zirkus – die Akrobat*innen und Seiltänzer*innen, die Clowns und Pantomim*innen –, unsere überhitzte Erde als künstlerische Herausforderung zu begreifen und schließt allmählich Freundschaft mit dem ruinierten planetaren Habitat. Dargestellt von den Schauspieler*innen des RambaZamba Theater üben die Artist*innen ihr akrobatisches Handwerk in verschiedenen Installationen des international gefeierten Bildenden Künstlers Tomás Saraceno aus. Seine räumlichen Entwürfe verleihen auf verblüffende Art dem Netz des Lebens, in das sowohl die menschlichen wie die nicht-menschlichen Bewohner*innen unseres Sterns eingebunden sind, Evidenz und Sichtbarkeit.

Mit Kaan Aydemir, Christian Behrend, Lioba Breitsprecher, Ferdinand Dambeck, Selma Ayemba Enoka, Heiko Fechner, Eva Fuchs, Juliana Götze, Sven Hakenes, Hans-Harald Janke, Marie Juana Jimenez, Shirly Klengel, Vincent Köhler, Tobias Kreßmann, Anil Merickan, Matthias Mosbach, Dirk Nadler, Joachim Neumann, Sascha Perthel, Hieu Pham, Ilse Ritter, Zora Schemm, Rita Seredßus, Rebecca Sickmüller, Jonas Sippel, Leo Solter, Sebastian Urbanski, Nele Winkler, Michael Wittsack

Thomas Köck – Text
Jacob Höhne – Regie
Tomás Saraceno – Raum
Janina Brinkmann – Kostüm und Maske
Frank Raddatz – Dramaturgie
Leo Solter – Komposition und Musik
Henning Streck – Lichtdesign
Hannah Elischer, Moritz Ilmer, Leah Wewoda – Puppenspiel
Vicki Steinmüller – Regieassistenz
Joy von Wienskowski – Dramaturgieassistenz
Lena Beck – Kostüm- und Maskenassistenz
Bert Neumann – Planwagen, Leihgabe der Bert Neumann Association, gemeinnützige UG (BNA) ©️ 2012

2.0 von 5 Sterne
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Ilse Ritter als ruhender Pol
11 Monate her.
Kritik

In all dem Trubel und Gewusel gibt es eine, die souverän den Überblick behält und dafür sorgt, dass der viele Genres und Themen streifende Abend wenigstens kurzzeitig zur Ruhe kommt: Ilse Ritter arbeitet erstmals mit dem Theater RambaZamba zusammen und hat als „Oracle“ einige wunderbare Auftritte ihrer Sprechkunst. Der Text, den Thomas Köck ihr und dem Ensemble geschrieben hat, arbeitet sich wieder an seinen bekannten, großen Themen, dem Kapitalismus und der Klimakrise und ihren Verbindungslinien ab, schlägt aber noch viele weitere Bögen und mündet in eine Liebeserklärung an die Kreativität, den Zirkus und das Theater.

In den vollgepackten zwei Stunden ist aber noch wesentlich mehr zu erleben. Dem Titel „aerocircus“ macht der Abend alle Ehre: kaum sind die Artistinnen abgezogen, wird Ilse Ritter an einem Seilgurt auf den Rücken eines Elefanten hochgehoben, Bert Neumanns Planwagen aus dem legendären „Kill your darlings“-Abend über die Bühne gezogen oder übernehmen die drei Puppenspieler*innen Hannah Elischer, Moritz Ilmer und Leah Wewoda mit ätzenden Kommentaren aus dem Off. In bewährter Waldorf & Statler-Manier ironiersieren sie den Text und das Geschehen auf der Bühne, das mehr und mehr zum Wimmelbild wird.

Manche Nummern bleiben besonders im Gedächtnis: Matthias Mosbach, der einst als „Baal“ an Claus Peymanns Berliner Ensemble auftrumpfte und seitdem in Berlin nur noch in Theater RambaZamba-Kooperationen zu erleben ist, schmettert Rio Reisers „Für immer und dich“ vom Rang. Frech postieren sich einige RambaZamba-Spieler*innen an der Rampe und ziehen den aktuellen Zustand der Berliner Festspiele durch den Kakao. So eine schöne große Bühne und so oft steht sie leer, spötteln sie.

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Aerocirkus bei den Berliner Festspielen:
1 Jahr her.
Kritik
Man könnte eine Beurteilung dieses Stückes, das eine Zumutung für alle Beteiligten war, in dem Satz zusammenfassen: Nie wieder RambaZamba! Offenbar handelt es sich um Jakob Höhnes Rache an seiner Mutter, denn er zerstört hier das RambaZamba-Theater in seinen Grundfesten. Wo Inhalt und Form immer eine feste Verbindung eingingen, bricht hier alles auseinander,  wo emanzipativer Inhalt durch Menschen mit Behinderung künstlerisch-aufklärerisch gestaltet wurde, ist hier alles zur Farce, zum großen Gebrüll geworden. Wo Menschen mit Behinderungen sonst immer in ihrer großen besonderen Würde gezeigt wurden, verlieren sie hier in allem. 
 
Das Stück „Aerocirkus“ ist eine Zumutung, ein Anschlag auf das Theater-Konzept, ein Reinfall, aber leider auch typisch für die neue Ausrichtung des berühmten innovativen Theaters, seit es Jakob Höhne übernahm. Dieser Regisseur scheint sich zu sagen: In den Mülleimer mit dem Weg der Selbstbestimmung der Menschen mit Behinderungen, zurück zur Herabwürdigung ihres Menschseins in den Status von Ausstattungs-Gegenständen. Und wo früher das Theater die Menschen mit geistigen Einschränkungen aus dem Objektstatus zu befreien suchte und entgegen allen Zuschreibungen zu Subjekten ihrer eigenen gesellschaftlichen Situation zu machen strebte, und damit ihnen und uns Bewältigung dieses gesellschaftlichen Problems ermöglichte, da wurde hier jeder papierenen Drahtpuppe mehr Aufmerksamkeit gewidmet als den ursprünglichen Schauspielern des RambaZambaTheaters, die solche mit Behinderungen und Einschränkungen sind. 
 
Ein formal überbetonter, kitschiger, inhaltsleerer und geisttötender Modernismus erschlug in dieser Aufführung einfach alles. Der distopische Text von planetarer Zerstörung war selbstüberheblich, albern, dumm und grobschlächtig, im besten Falle dadaistisch zerhackt, im vielen Teilen völlig inhaltsleer und unverständlich, Worte und Sätze passten nicht zueinander, dazu eine völlig unpoetische Sprache. Das Auswendiglernen eines solchen Textes ist Gewalt, Zumutung, von niemandem zu schaffen, daher passierten Hänger, logisch. Dann musste die inhaltliche Leere durch eine Überbetonung des Formalen permanent ausgeglichen werden:  Elefanten, Nashörner, Nilpferde traten in Übergröße auf, Artisten hatten ihre Auftritte, alles kam mit großem Getöse daher, grell, glitzernd, laut. Die Schauspieler des Rambazamba, die auf Basis von Behindertenwerkstätten arbeiten (mit 67.- Monatsverdienst), die, wie ich erfuhr, nicht mal ihre Filmgage behalten dürfen, wenn sie für Filme gebucht werden, saßen überwiegend links unten.  Sie spielten nicht mit, sie waren zu Statisten geworden. Sie langweilten sich. Sie und ihre Probleme kamen in diesem Stück nicht vor. Das Publikum langweilte sich auch. Nichts und niemand spielte eine Rolle. Wie schwer sowas zu üben ist, will ich mir gar nicht ausmalen. 
 
Und dann: Die Nichtbehinderten machten das Rennen. Die Artisten beeindruckten durch nirgends eingeschränkte Körpergelenkigkeit, die Orakelfrau hielt sprachlich ohne Einschränkungen gelernte Endlos-Monologe, das Bühnenbildnerteam hat riesenhafte Großtiere fotografisch-naturalistisch nachgestaltet, bestimmt alles sogenannte „Gäste“, mit guter Gage, und nicht behindert im Sinne des Tarifs der Behindertenwerkstatt. Oben hinter dem Publikum durften dann wieder Schauspieler mit seltenen Genzusammenstellungen primitives Gebrüll auf die Bühne bringen, neben Puppen mit aufklappenden Mündern und Gewalt-Sexszenen, völlig unklar, was das sollte. Es war zum Fremdschämen, was man ihnen und uns zumutete. Die Sinnentleerung musste, damit man nicht einschlief, durch künstlich aufgereizte Emotionalisierung wettgemacht werden, Worte und Satzfetzen wurden permanent wütend herausgebrüllt. Wer war gemeint, und warum die Wut, es erschloss sich nicht. Dazu noch der Beginn: Das Publikum wurde 30 Minuten auf dunkler Bühne mit den Spielern zusammen eingesperrt. Alle mussten stehen, die Spielerinnen hatten kleine pantomimisch hübsche Einlagen, aber niemand sah sie. Denn das Publikum stand mit Mänteln um sie herum, wusste nicht, was es sollte und fror. Einzelne ließen sich Stühle bringen. Nichts geschah. Wow, wie modernistisch, wie schlau, wenn man die tradierten Erwartungen so schön enttäuscht!  Sicher war das alles sehr gut dialektisch durchdacht. Oh nein, es war grauenvoll! Ist dies das Ende des RambaZamba-Theaters? Hoffentlich nicht! Wer schreitet ein? Wer rettet das einzigartige Konzept dieses Theaters, dass doch der Beginn von Selbstermächtigung von Behinderung in der Theaterwelt überhaupt war. Wer hat das hier vergessen? 
 
Ich weiß nicht, warum die selbstbewussten Schauspieler:innen, die ja schon berühmte Namen tragen, Juliana Götze, Sebastián Urbanski, Nele Winkler u.a., sich das gefallen gelassen haben und nicht längst davongelaufen sind. Aber, nun ja, wenn man in Wahrheit nur den Lohn einer Behindertenwerkstatt bekommt, was soll Mann und Frau da machen? Ich habe mich derart geärgert über das, was da für ein Schund auf die Bühne gebracht und mit was für einem grauenvollen Text die großartigen Spieler:innen beleidigt und gequält wurden, dass ich nicht bis zum Ende dableiben konnte. Mit mir gingen noch andere: Zu grell, zu laut, zu aufdringlich, das waren deren Kommentare. 
 
Ich bin für eine Palastrevolution im RambaZamba Theater und dafür, dass die Gründerin Gisela Höhne ihr Theater auf schnellstem Wege zurückerhalten sollte. Gibt es keine anderen Intendanten für so ein großartiges Haus? Und kann man nicht gerechter umgehen mit den Spielenden? Dieses Theater hat niemals eine Chance, wenn es den wichtigsten Grundsatz ihres Konzepts aufgibt: Menschen mit Behinderungen als Subjekte die Bühne bestimmen lassen. 
 
Anja Röhl
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