Berlin Karl-Marx-Platz
An eine Soap aus dem Nachmittagsprogramm erinnert tatsächlich der Plot über die Liebe zwischen Lisa aus Marzahn (Sesede Terziyan) und Cem aus Neukölln (Taner Şahintürk). Kurz nach dem Mauerfall finden die beiden trotz aller Widerstände zueinander. Vom Alltagsrassismus, den vor allem Lisas Großvater, ein Staatsopern- und Schubert-Afficionado (Falilou Seck) verinnerlicht hat, über die rassistischen Brandanschläge der 1990er Jahre bis zu dem für viele Ostdeutsche schmerzhaften Prozess, die Regeln des Kapitalismus im Crashkurs zu lernen, packen Mican und sein Team eine Überfülle von Themen in die mehr als zwei pausenlosen Theaterstunden. Und ja, leider trieft hier am Ende auch der Kitsch, wenn die Familie wieder zueinander findet.
Dass sich dieser Abend aber dennoch lohnt, liegt an der musikalischen Qualität des Ensembles und Peer Neumanns Live-Band. Mican kann wieder mit seinem Theatertreffen-Traumpaar Sesede Terziyan/Taner Şahintürk auftrumpfen. Alissa Kolbusch hat ihnen auf die Gorki-Bühne einen Laufsteg gebaut, auf dem sie gemeinsam mit Anastasia Guareva und Falilou Seck zu großer Form auflaufen. „Berlin Karl-Marx-Platz“ wird zur emotionalen Rockoper: Hits und Balladen von Nick Cave, Queen, Nine Inch Nails werden hier in perfekten Arrangements fast im Minuten-Takt abgefeuert.
Wenn Sesede Terziyan ihr „I want it all“ in den Saal schmettert, ist das durchaus programmatisch gemeint. Intendantin Shermin Langhoff und ihr Team biegen auf die Schlusskurve ein, aber nicht mit leiser Wehmut, sondern mit vollem Elan. Im Rahmen des 7. und letzten Berliner Herbstsalons jagt in diesen Wochen eine Premiere die nächste.
„Berlin Karl-Marx-Platz – Ein letztes Liebeslied“ hatte am 1. November 2025 auf der Gorki-Bühne und ist die Neufassung einer gleichnamigen Musical-Produktion, die Mican 2021 für die Neuköllner Oper realisierte. Das Gorki kündigt es auf der Website als zweite Uraufführung „mit neuem Atem, neuem Text, neuer Musik, neuer Besetzung“ an.





