1911_KDL_HAM_300x250

 



Maxim Gorki Theater
www.gorki.de
Am Festungsgraben 2 - 10117 Berlin
Telefon: 030 202210
SPIELPLAN & KARTEN

Vatermal

Bewertung und Kritik zu

VATERMAL 
von Necati̇ Özi̇ri̇
Regie: Hakan Savaş Mi̇can 
Premiere: 21. Dezember 2024 
Maxim Gorki Theater, Berlin 

Zum Inhalt: »Wenn die Welt auch ständig davon schwafelte, dass wir keine Perspektive hatten, wussten wir: Das Gegenteil stimmte. Wir hatten zu viel Perspektive, hatten Dinge gesehen, die andere Kinder ihr Leben lang nicht sehen, während sie die Kürbissuppe ihrer Eltern löffeln.« Arda

Arda ist jung und weiß nicht, wie viel Zeit ihm noch bleibt. Er liegt mit Organversagen auf der Intensivstation seiner Heimatstadt im Ruhrgebiet und wartet, während sich die Wochen wie ein einziger nie enden wollender Tag anfühlen. Arda kann gar nicht anders, als sich noch einmal an die Momente zu erinnern, in denen er das Gefühl hatte, dem Leben ein Stückchen näher gewesen zu sein.

Da ist Aylin, Ardas große Schwester, die als Kind geliebt und doch weggegeben wurde, später aus der Familie abhaut, und es bei ihren Pflegeeltern auch nicht aushält. Da ist seine Mutter Ümran, die mit den Umständen und sich selbst kämpft, und für ihre Kinder in Deutschland doch so vieles besser machen wollte. Schwester und Mutter können vor lauter Verletzungen seit zehn Jahren nicht mehr miteinander sprechen. Ihr einziger gemeinsamer Berührungspunkt scheint Arda zu sein. Und da ist die Leerstelle in Ardas Leben. Sein Vater. Der nie wirklich da war und irgendwann ohne ein Abschiedswort verschwand. Arda will ihm jetzt für immer die Möglichkeit nehmen, nicht zu wissen, wer sein Sohn war und erzählt von der geraubten Zeit auf Ämtern, der Sehnsucht nach Zugehörigkeit, den Jungs im Park, seiner Ersatzfamilie, dem Ringen mit der eigenen Männlichkeit, Aylins und Ümrans Sehnsüchten – Alles für und gegen den abwesenden Vater, für seine Familie, für sich. Necati Öziris Romandebüt Vatermal stand 2023 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Er war lange Jahre Dramaturg und künstlerischer Leiter des Studio Я, seine Theaterstücke Get Deutsch or Die Tryin' und Die Verlobung von St. Domingo kamen am Gorki zur Aufführung.

2.0 von 5 Sterne
  • 5 Stern(e)
    0
  • 4 Stern(e)
    0
  • 3 Stern(e)
    0
  • 2 Stern(e)
    1
  • 1 Stern(e)
    0
Melancholisches Sozialdrama in Fortsetzungsreihe postmigrantischen Theaters
1 Monat her.
Kritik

Perfekt zur Gorki-Marke passt der Roman, der im vergangenen Jahr auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand, vor allem thematisch: Wie so oft am Gorki ist auch „Vatermal“ eine postmigrantische Geschichte, die von den Schikanen auf dem Ausländeramt gegen türkische Migrant*innen erzählt, die in der alten Bundesrepublik „Gastarbeiter“ genannt wurden. Der an einer Autoimmunerkrankung leidende Sohn Arda (Doğa Gürer) lässt im Krankenhausbett sein Leben Revue passieren.

In Tolstois „Anna Karenina“ lernten wir, dass jede Familie auf ihre ganz eigene Art unglücklich ist. In den kurzen Erinnerungssplittern, die sich auf der Gorki-Bühne nicht so recht zu einem Puzzle zusammenfügen wollen, erleben wir eine besonders unglücklich-dysfunktionale Familie. Zwischen Schwester Aylin (Flavia Lefèvre) und Mutter Ümran (Sesede Terziyan) herrscht Eiszeit, sie haben seit Jahren keinen Kontakt und kommen nur abwechselnd zum Krankenbesuch. In Rückblenden erfahren wir vom schwierigen Ankommen der Mutter im fremden Land, vom plötzlichen Verlassenwerden durch den Erzeuger, der sie mit den beiden Kindern als Alleinerziehende zurücklässt, von ihrem McDonalds-Job und von ihrem Alkoholismus. Sie ist die heimliche Hauptfigur des zweistündigen Abends, der aber doch noch eine Überraschung bietet.

Hakan Savaş Mican, wie Necati Öziri ein langjähriger Weggefährte von Shermin Langhoff, inszeniert den Stoff nicht als melancholisches, intimes Kammerspiel am Sterbebett, sondern verlegt die Handlung nach einem kurzen Video-Intro auf eine samtrote Show-Bühne. Die Erzählung vom prekären Aufwachsen und dem tristen Alltag mit regelmäßigen Vorladungen von Herrn Kowalski beim Ausländeramt wird durch glamouröse Auftritte gebrochen. Arda trägt einen Smoking, links und rechts der Showtreppe haben sich die Livemusikerinnen Kristina Koropecki und Mascha Juno postiert, sie sind ebenso ganz in Rot gekleidet wie die beiden Spielerinnen und untermalen das postmigrantische Sozialdrama mit türkischen Songs, in die vor allem Sesede Terziyan wieder voller Wehmut eintaucht, und Evergreens aus der 2. Hälfte des vergangenen Jahrhunderts.

Die Figuren und ihre Probleme wirken sehr vertraut. Ähnliche Konflikte und ähnliche Lebensläufe haben Gorki-Stammgäste schon so häufig gesehen, dass die „Vatermal“-Adaption wie die nächste Episode einer Fortsetzungsserie anmutet. Nahe kommen die Figuren jedoch diesmal nicht. Dies liegt vor allem daran, dass das Trio in den Schnipseln auch alle weiteren Nebenfiguren performt, so dass ohne Beipackzettel/Stückfassung nicht in jeder Szene klar ist, wer hier zu wem spricht. So wirkt dieser „Vatermal“-Abend bei all seinem Sozialrealismus streckenweise auch wie der Fiebertraum eines Sterbenden.

Weiterlesen

Show more
0 von 0 Person(en) gefiel diese Kritik

PDF-Datei: 29,95 € 23,95 €


Weitere Formate auf Amazon & Play:
Taschenbuch / Kindle: 39,95 €
Google eBook: 29,95 €


UNSERE BÜCHER ALS PDF-DATEI


AUSWAHL


WIR EMPFEHLEN

2023_BMG_still_banner_300x250 


AUF DER BÜHNE © 2025