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Maxim Gorki Theater
www.gorki.de
Am Festungsgraben 2 - 10117 Berlin
Telefon: 030 202210
SPIELPLAN & KARTEN

Linkerhand

Bewertung und Kritik zu

LINKERHAND 
nach dem Roman Franziska Linkerhand
Regie: Sebastian Baumgarten 
Premiere: 18. Oktober 2024 
Maxim Gorki Theater, Berlin 

Zum Inhalt: »Franziska ist keine ›Schlacht unterwegs‹-Heldin; sie kommt voll strahlender Pläne in diese Stadt, in der man nichts verlangt als nüchternes Rechnen, schnelles und billiges Bauen (...) und nun versuche ich von allen Leuten, deren ich habhaft werden kann, zu erfahren, wieweit die Architektur einer Stadt das Lebensgefühl ihrer Bewohner zu prägen vermag, und mir scheint, sie trägt in gleichem Maße zur Seelenbildung bei wie Literatur und Malerei, Musik, Philosophie …« Brigitte Reimann, Tagebücher und Briefwechsel.

»Warum soll ich nicht mein Leben genießen? In zehn oder zwanzig Jahren ist alles vorbei«, schreibt die gerade 22-jährige Brigitte Reimann in ihr Tagebuch. Mit nicht einmal 40 Jahren ist für die Autorin wirklich alles vorbei. Sie stirbt an Krebs. In ihrem zum »Kult« gewordenen letzten Roman schuf sie sich jedoch, eine Schwester »im Geiste«, die weiterlebt, bis heute. Wie sie selbst, eine gnadenlos Liebende, entscheidet sich die junge Architektin Franziska Linkerhand nach der »Mauer« für den Arbeiterstaat DDR und gegen ihre bürgerliche Herkunft. Eine Figur, die polarisiert, in allen Systemen die »Mittelmäßigen« und die »feigen Idioten« hasst. Sie ist vital, kantig, offen, für ein real existierendes Patriarchat schwer zu ertragen. Bewegt vom Traum einer avancierten und dennoch sozialen Architektur entscheidet sich Franziska gegen eine glänzende Karriere und für die Wirklichkeit von Neustadt. Dieses Muster einer so funktionalen, wie »schönen sozialistischen Stadt«, der große Versuch, verkommt jedoch rasend schnell zum Ort des »organisierten Pfusches«. Was die junge Architektin treibt, ist die Hassliebe zu den Baustellen, Planungsbüros, den durchsoffenen Nächten, den Männern und Frauen, der ruhelos gefährlichen Welt der Arbeit und Arbeitenden.

Sebastian Baumgarten rekonstruiert Franziska Linkerhand aus verschiedenen Perspektiven als eine moderne, uns gegenwärtige Frauenfigur, die sich den Zwängen des Lebens nicht kampflos anpassen kann und will. Auf der Bühne des Architekten Sam Chermayeff wird ihr Traum neu verhandelt, der Traum vom »Träumenmüssen«, der nicht aus ist, solange wir uns bewegen.

3.0 von 5 Sterne
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Assoziativer Trip durch die Zeit- und Architekturgeschichte
6 Monate her.
Kritik

Die Handschrift von Sebastian Baumgarten ist in dieser neuen Gorki-Inszenierung klar erkennbar: wieder ein fiebrig-assoziativer Trip in die jüngere Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts, die von wuchtigen Sounds und vor allem den Videos von Chris Kondek dominiert wird.

In weniger als zwei Stunden sprintet die Inszenierung durch markante Stationen des DDR-Kultromans "Franziska Linkerhand", den Brigitte Reimann nicht mehr vollenden konnte. Sie erzählt von einer jungen Architektin, deren Ideale und Träume sich in der Provinz (Neustadt alias Hoyerswerda) an den verkrusteten Strukturen des Sozialismus reiben. Aufgesplittet auf drei Spielerinnen im Kurzhaar- und Ringelpulli-Einheitslook werden die verschiedenen Facetten der Titelfigur deutlich: Alexandra Sinelnikowa, die vor einem Jahr neu ins Gorki-Ensemble kam, spielt die vorwärts Stürmende, die am Zynismus der Vorgesetzten und Parteikader (gespielt von Falilou Seck und Till Wonka) zerschellt. Die abgeklärteren Passagen der Franziska Linkerhand übernehmen zwei bekannte Gesichter aus Film und Fernsehen: Maria Simon, langjährige Polizeiruf-TV-Kommissarin in Brandenburg, in ihrer ersten Gorki-Gastrolle und Katja Riemann, einer der Stars des Beziehungskomödien-Booms der 1990er Jahre, die zum zweiten Mal nach Sibylle Bergs "Und sicher ist mit mir die Welt verschwunden" an Shermin Langhoffs Haus gastiert. Letztere hat auch einen komödiantischen Auftritt als Trinkerin Gertrud, die ihren Frust mit zu viel Alkohol herunterspült. Beide Gast-Stars fügen sich in das Regiekonzept ein.

Dieses stellt immer häufiger Fremdtexte in den Mittelpunkt und löst sich von der Hauptfigur. Von vornherein kamen das Privatleben und die Liebessehnsucht der Franziska Linkerhand kurz, nur eine Randrolle spielt Gorki-Rückkehrer Aleksandar Radenković als Ben. Die politische Desillusionierung der jungen Frau interessierte Regisseur Sebastian Baumgarten und Dramaturgen Holger Kuhla in ihrer Stückfassung wesentlich mehr. 

Im letzten Drittel geht es in assoziativem Ritt durch die Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts und das Scheitern all der Utopien von lebenswerteren Städten. Um zwischen all den Videos und Schriftzügen, die aufblinken, den Überblick zu behalten, empfiehlt es sich, einen soliden Grundstock an Wissen über Architektur- und Zeitgeschichte mitzubringen. Sonst rauschen die Info-Häppchen zu schnell vorbei.

Desillusioniert landet die Inszenierung schließlich bei den rassistische Progromen in Hoyerswerda kurz nach dem Mauerfall, womit der Zeitgeschichts-Trip sehr unvermittelt endet.

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