Kritik
''Es fließt reichlich Wodka zum Warmlaufen für den geplanten Clubbesuch. Doch an der Tür, die hier in den rot leuchtenden Nebenraum geht, werden sie abgewiesen. Der Frust darüber steckt bei den Mädchen tief. Später entlädt sich die Wut in einem gemeinsamen Gewaltakt im U-Bahnhof gegen einen betrunkenen Studenten, der die Mädchen mit anzüglichen Sprüchen provoziert. Hazal stößt den Studenten auf die Gleise und flieht überstürzt zu Mehmet nach Istanbul. Murat Dikenci nimmt hier etwas das Tempo raus, lässt Aysima Ergün die Drastik der Tat nur vage erzählen.
Dann öffnet die Schauspielerin ein Fenster zur Straße, von der Geräusche nach drinnen dringen. Das markiert einen Bruch im Ton wie auch in der Handlung. Auch in Istanbul findet Hazal keine Ruhe. Wie in Deutschland ist sie ein Fremdkörper in einem für sie fremden Land. Mehmet erweist sich als labiler Mensch, der viel kifft, Computerspiele zockt und nur an Sex interessiert ist. Durch Gespräche mit Mehmets Mitbewohner Halil, einem politisch aktiven Kurden aus der Provinz Mardin, erfährt Hazal erstmals von der Unterdrückung der Kurden. Eine Geschichte, die in ihrer Familie nicht vorkam. Nachdem die Polizei gewaltsam in Mehmets Wohnung eindringt, verlässt Hazal Mehmet und steht wieder allein in Istanbul. Hier lässt die Bühnenfassung einiges aus und geht gleich zum Kontakt Hazals mit ihrer Tante Selma über. In Deutschland ist ihre Tat bereits medial im Internet präsent, und die Tante will sie zur Rückkehr bewegen, um sich zu stellen. In einem längeren Monolog rekapituliert Aysima Ergün noch einmal die Verzweiflung ihrer Figur, das Desinteresse der Gesellschaft. „Sie sehen uns nur, wenn wir Scheiße bauen, dann sind sie plötzlich neugierig.“
Wie im Roman bleibt auch hier das Ende offen. Nicht nach Deutschland zurückzukehren, ein eigenes selbstbestimmtes Leben zu führen, wird auch in der Türkei kaum möglich sein. Musik klingt von der Straße herein. Auf den TV-Bildschirmen laufen Bilder von der in Deutschland fast schon vergessenen Niederschlagung des Putsches gegen Erdogan 2016 in der Türkei. Diese politische Komponente, die das Ende des Romans bestimmt, lässt einen hier noch ratloser zurück. Ein Abend, der atmosphärisch in zwei Teile zerfällt, aber durchweg von der starken Präsenz der Solo-Darstellerin getragen wird.'' schreibt Stefan Bock am 19. April 2024 auf KULTURA-EXTRA