Zum Inhalt: Noch fast ein Kind überquert Karl Roßmann im Bauch eines Hochseedampfers das große Meer. Weggeschickt aus Europa ist das Ziel dieser »Deportation« Amerika. Er betritt eine für ihn vollkommen neue Welt, die gerade zu Ende geht oder erst neu entsteht. Diesem »Verschollenen« begegnen hier Existenzen die, aus allen Ländern zugeschwemmt, so zwanghaft wie gnadenlos ihren Raum, eine Funktion, gar Fiktion, ihre »Ausübung« zu finden suchen. Karl bewegt sich und wird bewegt, versucht »zu passen«, zaudert und gibt stets sein Bestes, um schließlich sein »Glück« als Namenloser zu finden.
Sebastian Baumgarten setzt am Gorki Kafkas Romanfragment in Wort-, Sound- und Bildfragmenten neu zusammen. Als ein Versuch über die Mechaniken von Ohnmacht, Hilflosigkeit, Ungerechtigkeit, Ironie und Hoffnung, einem modernen Menschentypus auf der Spur, dessen größte Schwierigkeit es scheint, inmitten kompakter Verwertungslogiken »Nein« zu sagen.
Regie: Sebastian Baumgarten Bühne: Barbara Steiner Kostüme: Christina Schmitt Sounddesign: Marc Sinan Company – Ilija Djordjevic, Karsten Lipp Komposition: Marc Sinan Dramaturgie: Holger Kuhla Live-fotografie: Marcel Urlaub
''In dem in zehn Kapitelüberschriften aufgeteilten Abend werden dabei neben dem Erzähltext auch andere Auszüge aus Kafkas Erzählung Der Geier und Fremdtexte des französischen Philosophen Jean Baudrillard gesprochen. Amerika als Modell vom Verschwinden, vom Ende aller Vorstellungen. Ein durchaus interessantes Weltuntergangsszenario, das hier den Einstieg bildet, dann aber doch mehr in popkulturellen Bildern, Videos und Live-Fotostills schwelgt und in ein comicartiges Spiel übergeht. Der Stummfilm Modern Times von Charly Chaplin scheint dafür Pate gestanden zu haben. Beliebiger Slapstick mit entsprechenden Geräuschen, es fehlen nur die Sprechblasen. Ein weiterer Fremdtext legt in einem Video dem Partei-Kandidaten aus dem Roman Sätze von John F. Kennedy in den Mund.
Am Ende ist da Oklahoma Naturtheater bei Baumgarten auch nur ein auf Effizienz getrimmtes Unternehmen, in dem Karl vom auf einem Hochsitz thronenden Führer auf seinen Platz gestellt wird. In zwei Stunden lässt der Abend seinen austauschbaren Protagonisten im Laufschritt durch ein Amerika der für ihn undurchsichtigen Marktgesetze und Vergnügungsparks rennen. Auf der Strecke bleibt da Kafkas doch viel mehrdeutigerer Text, den für das Theater nutzbar zu machen und eine neue Sprache zu finden, ohne, wie zu Beginn erwähnt, erklären zu wollen, es etwas mehr Zeit bedürfte.'' schreibt Stefan Bock am 16. Januar 2023 auf KULTURA-EXTRA
Ständig wechseln die sieben Spieler*innen die Rollen, alle sind Karl Rossmann, keiner ist Karl Rossmann und zappeln slapstickhaft durch einen Wald aus Zeichen US-amerikanischer Popkultur, die verfremdet wurden: Vom Goodyear-Reifen bis zum Nike-Turnschuh hat Barbara Steiner spielt mit allerlei Lifestyle-Marken, die sie auf eine ansonsten zugemüllte Bühne platzierte. Ganz vorne ragen zwei überdimensionale Kippen ins Publikum.
Ärgerlich und sinnlos verqualmt sind weite Strecken eines Abends, der aktionistisch auf der Stelle tritt, zwar nah am vor mehr als hundert Jahre altem, Fragment gebliebenen Plot bleibt, aber bei seiner von eingespielten Krach-, Wumm- und Pling-Lauten begleiteten Hetze von Szene zu Szene nicht mal näherungsweise den Kafka-Ton trifft.
Ästhetisch wirkt der Abend sehr angestaubt und in den 90ern stecken geblieben. Die zwei Stunden ziehen sich trotz aller tief aus der Klamottenkiste hervorgekramten Slapstick-Einfälle und Turbo-Aktionen extrem langatmig und kreisen um eine „leere Mitte“, wie es Eberhard Spreng im Deutschlandfunk auf den Punkt brachte.