Kritik
''Ausgehend vom sogenannten Notstandsartikel 48 der Weimarer Verfassung, der dem Reichspräsidenten weitreichende Möglichkeiten zur Regierung im Ausnahmezustand zugestand, wird die demokratische Krise als Normalzustand beschrieben. Die Folge war die willkürliche Einsetzung von Reichskanzlern durch Paul von Hindenburg, was einer quasi Abschaffung der Parlamentsgewalt gleichkam und schließlich Adolf Hitler an die Macht verhalf. In der folgenden Performance tigert Dominic Hartmann als personifizierter Ausnahmezustand in Drag durch seine Box und haspelt im Schnelldurchlauf die Krisen der modernen Gesellschaft von der französischen Revolution bis zu den Kriegen des 20. Jahrhundert herunter. Heute bestehen die Krisen aus Finanzcrashs, Umweltverschmutzung und globalisierter Vernetzung, was natürlich auch Verteilungskämpfe zwischen Ost und West (Putin versus Biden) nach sich zieht, die aber meist woanders als in Europa ausgefochten werden. Ein Immer-weiter-so, wie es Hartmann hier beschwört, kann es aber auf Dauer nicht geben.
Weiter Stationen befassen sich mit der „Hölle der Repräsentation“, in der sich die palästinensische Schauspielerin Maryam Abu Khaled in einer Art Verhör einer Theaterpolizei gegenüber sieht und des theatralen Verbrechens, sie selbst auf der Bühne zu sein, bezichtigt wird, was sich irgendwann dann plötzlich umdreht und gegen den Verhörenden selbst richtet. In „Zombies“ berichten die Schauspielerinnen Kenda Hmeidan und Hanh Mai Thi Tran von den Realitäten am Theater. Wer macht was und wird wie dafür bezahlt. Eine Art Selbstbezichtigung des Regisseurs durch die Blume. Man kann das auch als Aussaugen des künstlerischen Potentials anderer bezeichnen. Die Ausbeutung der eigenen Biografie war schon Thema in Ersan Mondtags Gorki-Inszenierung Its going to get worse.
Wirklich schlimmer wird es hier nicht mehr. Das provokative Potential von Frljić‘ Aufführung ist sehr begrenzt. Auch die schmalen „Analytischen Cookies“ von Theater-Bäcker Mehmet Yılmaz helfen da nicht wirklich zur Retrospektive des Abends. Außer dass sich der Kritiker mal bei der Arbeit gefilmt sehen kann. Und dass man am Ende in den Rang hinaufsteigen muss, um beim Draufsehen auf das Treiben unten im Parkett eine weitere gedankliche Metaebene eingezogen zu bekommen, kann einen dann auch beim besten Willen nicht mehr wirklich aus der Ruhe bringen. Alles unter Kontrolle.'' schreibt Stefan Bock am 17. Juni 2021 auf
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