Zum Inhalt: Yael Ronen begibt sich mit dem Ensemble für ihr neues Projekt auf eine historische und künstlerische Recherche zur Geschichte der »Hexen« und ihrer Verfolgung in Europa. Das Phänomen der Hexenjagd erreichte in Deutschland in der frühen Neuzeit zwischen Reformation und den folgenden Religionskriegen seinen Höhepunkt und fand erst um 1800 ein Ende. Mehr als die Hälfte aller weiblichen Opfer weltweit wurden in deutschen Städten und Dörfern gemartert und verbrannt. Zehntausende Frauen starben. Die Bibelstelle »Eine Hexe sollst Du nicht am Leben lassen« (2. Buch Mose, 22, 17) hatte sich in ein Instrument zur allgemeinen Verfolgung und Disziplinierung von Frauen verwandelt. In dieser Zeit des beginnenden Kapitalismus entsteht das moderne Patriarchat, das sich letzthin als erstaunlich überlebensfähig erwiesen hat. Begründet sich in der Figur der Hexe ein machtvolles Bild zur fortdauernden Abwertung des Weiblichen in der religiösen aber auch in der ökonomischen Welt in den folgenden Jahrhunderten?
Ronen und Ensemble suchen hinter dem historisch überlieferten Bild das Potential für eine widerständige, ja utopische Praxis zur Überwindung des Patriarchats und seiner Bilder von Frauen und Männern. Sie erforscht mit den Mitteln des Theaters, wie sich diese Geschichte in die Körper von Frauen eingeschrieben und wie sich diese Körper wieder aus einer Erfahrung der Unterdrückung befreien können. Welches Wissen, welche Praxis ging verloren bei der Verfolgung von »Hexen«, die vielleicht Heilerinnen und Ratgeberinnen insbesondere für die Armen waren? Welche performativen Rituale haben im zeitgenössischen Schamanismus jenseits des männlichen Monotheismus überlebt und können Inspiration sein für eine Kunst, die davon träumt alle Körper zu befreien – weibliche und männliche und alle dazwischen? Und wie kann Theater in seinen Ritualen und Geschichten davon handeln und erzählen? Das Projekt macht sich auf den Weg und arbeitet am zeitnahen Untergang des Patriarchats. The Witches are coming back!
Regie: Yael Ronen Bühne: Heike Schuppelius Kostüme: Delaine Le Bas Musik: Yaniv Fridel, Ofer Shabi Video: Hanna Slak Licht: Gregor Roth Dramaturgie: Jens Hillje Künstlerische Mitarbeit: Lauren Cooney
TRAILER
Meinung der Presse zu „Rewitching Europe“ Maxim Gorki Theater
''Gorki-Urgestein Ruth Reinicke erzählt von einem Traum, in dem ihr ihre Großmutter erschienen ist und sie zu einer ominösen Kultstätte in der Unterbühne des Gorki geführt hat, wo bei Sanierungsarbeiten die Knochen einer prähistorischen Venus gefunden wurden. Eine weibliche Fruchtbarkeitsgöttin mit großen Brüsten, ähnlich der Venus von Willendorf in der österreichischen Wachau. Viele alte Kulturen hatten solche oder ähnliche Kultfiguren, die „Ruth, die Venus vom Gorki“, nun als Figurine in der Hand hält und die in den Videoanimationen von Hanna Slak und Nina Paley über einen Gazevorhang flimmern. Menstruationsblut soll hier als Verbindung zu Mutter Erde fungieren, und die Frauen schwenken dann, wenn auch zunächst etwas zögerlich, ihre Tampons.
Ein interessantes feministisches Thema, das der Abend allerdings etwas zu leichtgewichtig wieder verschenkt und ganz auf die aktuelle Kritik an der allgegenwärtigen Umweltzerstörung und -politik umschwenkt bis zum geflügelten Greta-Thunberg-Zitat „How dare you!“. Ironisch gebrochen wird das hier allerdings eh nicht allzu ernst gemeinte Naturritual durch lustige Zwischendialoge wie dem vom als Wagners Opernfigur Erda im schwedischen Wald umherirrenden Lindy Larson, der auf Orit Nahmias als sprechenden Elch trifft, der ihm prophezeit, der Auserwählte zu sein, der dann schlussendlich stellvertretend für alle Männer das böse Patriarchat auskotzen darf. Zwischen mythischer Naturkatastrophe „Ragnarök“ und weiblichem Initiationsritus zur Rettung der Umwelt schlingert der sonst ganz sympathische Abend doch etwas unfokussiert von einem Song zum nächsten.'' schreibt Stefan Bock am 2. November 2019 auf KULTURA-EXTRA
Lea Draeger, Riah Knight, Orit Nahmias und Sesede Terziyan werden aufgefordert, die Tampons rauszunehmen und Mutter Erde ihr Blut zu opfern.
Noch eine Spur kruder wird der Abend, als Quoten-Mann Lindy Larsson auf einer Reise durch Lappland von einem sprechenden Rentier (Orit Nahmias), mit „Matrix“-Dialogschnipseln darüber aufgeklärt wird, dass er der Auserwählte sei und nun als Quotenmann das Patriarchat auskotzen müsse.
Irgendwie schlägt der Abend den Bogen zu Greta, ihrem berühmten „How dare you“-Wutanfall und vor allem zur schon zu Beginn vorgestellten Spezies der „Pasta People“, die wir uns als Mischung aus Fusili und Rigatoni vorstellen müssen, wie immer wieder betont wird und die in 65 Milliarden Jahren ratlos vor den letzten Überresten aus unserem untergegangenen Plastikzeitalter blicken.
Den seit Dimitrij Schaad sprichwörtlichen Gorki-Applausflittchen gefiel diese schräge Trash-Mixtur außerordentlich gut. Alle anderen spendeten freundlichen Applaus für einen leichtgewichtigen Abend, der weit von den starken Ronen-Arbeiten entfernt blieb.
Weiterlesen