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    Romulus der Große

    Bewertung und Kritik zu

    ROMULUS DER GROSSE 
    von Friedrich Dürrenmatt
    Regie: Peter Atanassow
    Premiere: 24. August 2022 
    Freilufttheater in der Jungfernheide Berlin

    Zum Inhalt: Die Zeitreise führt ins Rom des Jahres 476: Die Staatskassen sind leer, die Armee fahnenflüchtig, die Germanen stehen vor der Tür – die Lage ist aussichtslos. Kaiser Romulus muss tun, was des Kaisers ist: Er muss eine Lösung finden! Aber ihn plagt eine viel größere Sorge: Seine Legehennen streiken, sie legen kaum noch Eier. Was soll das?! Die Untertanen schütteln verzweifelt den Kopf, andere hauen einfach ab. Letzte Mittel kommen ins Gespräch: etwa ein Auftragsmord oder die Idee, die Tochter des Kaisers an einen reichen Magnaten zu verschachern. Romulus verweigert das dringende Staatsgeschäft …

    Mit Christian Krug, Frank T., Hans-Jürgen Simon, Josef, Maja Borm, Maria Stoecker-Baton, Massimiliano Baß, Matthias Blocher, Mikael, Mohamad Koulaghassi, Moses Al-Khalil, Para Kiala, Rashid, Sabine Böhm, Svitlana Balitska.

    Regie: Peter Atanassow
    Bühne: Holger Syrbe
    Kostüme: Haemin Jung
    Dramaturgie: Hans-Dieter Schütt
    Musikalische Leitung: Vsevolod Silkin
    Produktionsleitung: Sibylle Arndt
    Grafik: Dirk Trageser
    Produktionsassistenz: Franzi Kuhn

    4.5 von 5 Sterne
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    Nötig sind eher Verhinderer
    1 year ago
    Kritik

    Romulus, der Große, das ist ein Stoff mit Hauptpersonen und Geschichtsinhalt von 476 n. Christi. Der Zeit des Untergangs des Römischen Reiches. Dürrenmatt schrieb es 1949 als Gleichnis und ironische Parabel auf das Ende des Dritten Reiches. Das Gefängnistheater AufBruch gibt es dieser Tage im Freilufttheater Jungfernheide, als Parabel auf unsere heutige Endzeitstimmung.    Der an antike Zeiten erinnernde ansteigende Halbkreisbogen der Freiluftbühne im verwilderten Park „Jungfernheide“, lässt die Zuschauer auf eine zugewucherte Bühne blicken, auf der um echte Büsche herum gespielt wird.  Das jährliche Sommerereignis des AufBruch-Theaters mit Freigängern und anderen Mitmachenden, hat sehr viele Zuschauer in den Park gelockt. Die Umsetzung führte zu Beifallsstürmen.    Das Stück passt zum Spielort: Der letzte römische Kaiser scheint ein Privatmann - abgewandelt von der Historie schon etwas älter - der mit Frau und Tochter in einem Sommerhaus, abseits aller Kämpfe beschaulich-bäuerlich im Wald lebt. Sein Hobby ist die Hühnerzucht, seine Hühner heißen nach vormaligen römischen Berühmtheiten: Augustus, Caesar, Marc Anton…

    Während Bedienstete Koffer aus dem Haus schleppen und Julia, seine Frau, hektisch die Flucht organisiert, übt die Tochter mit dem Hauslehrer Klassikertexte. Ein verzweifelt-hysterischer Bote und der durch Gefangenschaft zerstörte Schwiegersohn, berichten von der Zerstörung des Reiches. Sie erwarten von Romulus energisches Handeln, der aber schweigt. Sie  berichten von der baldigen Eroberung durch den Germanenfürsten Odoaker. Das schreckt Romulus nicht.   Der hühnerliebende Kaiser will Flucht und Krieg und Reichszerstörung nichts wissen, er lädt zu Wein und gutem Essen ein. Dabei wirkt er in seiner Naivität kindisch, albern und verrückt. Zum Ende hin enthüllt er, dass alles nur ein Trick von ihm war, um den Krieg nicht mehr verlängern zu müssen und das Land baldmöglichst den Germanen zu übergeben.    Köstlich ironisch-witzig ist schon der Dürrenmattsche Text, noch eine Spur an Ironie mehr gab dem Stück die aktuelle Inszenierung des AufBruch. Die Hauptperson teilt sich in drei Ichs, die sich gegenseitig aushelfen, wenn sie in Bedrängnis geraten. Jede der drei Persönlichkeiten wird von unterschiedlichen Darstellenden gegeben. Einer davon ist ein sehr junger Mann, fast dem historischen Alter des Romulus entsprechend (16Jahre). Die beiden anderen sind eher ältere Varianten. Alle drei sind hervorragend: Sentimental, selbstironisch, harmlos, naiv, versponnen, idiotisch und thyrannisch, genau wie Herrscher in Untergangszeiten zu werden pflegen. Klare Stellungnahmen nie, stattdessen Gestammel, Ausweichmanöver, Zeitgewinn herausschlagen. Ausblenden der Realität im Lande immer, mit zu Boden gerichtetem Blick auf die eigene kleine Hühnerwelt. Nicht mal, was im Haus vorgeht, interessiert den Romulus noch, ewig sieht man ihn mit einem Huhn in den Händen herumstehen, welches er selbstvergessen streichelt.   Was immer glückt im AufBruch-Theater ist die Arbeit mit den Laien, sie scheinen nicht nur wie, sondern besser als Professionelle zu spielen. Wie das Wunder glückt, versteht man nicht. Warum kann hier Tragik, Komik, Emotion, Witz und Ironie derart gut gespielt werden? Von Menschen, die keine Schauspielschule besucht haben, sondern nur in Kursen des AufBruch waren? Warum wirkt alles absolut authentisch, wahr? Die Spielenden scheinen über sich selbst zu sprechen, sich selbst zu spielen, und es scheint auch um ihr Leben zu gehen. Genial ist zum Beispiel eine kleine Szene, wo einer der Kammerdiener dem Huhn ein türkisches Kinderlied vorsingt. Die Poesie und Melancholie, die Schönheit dieses Zwischenspiels, das völlig unverbunden mit allem, einfach nur vom Schauspieler in seiner Sprache dargebracht wird, wirkt, als hätte dieser es spontan ins Stück hinein improvisiert. Solche kleinen Soli werden öfters geboten. Die Spielenden bekommen dadurch eine eigene Rolle im Spiel, sie sind nicht nur Ausführende einer Autoren- und Regieidee, sie bringen sich selbst ein. Auch Sätze des Beckmann aus „Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert werden passend zitiert. ( Ich will Ihnen was zurückgeben... die Verantwortung) Hans – Dieter Schütt schreibt dazu im Programmheft: „Die Geschichte, wer macht sie? Die brennenden Leiber, aus denen das Fett tropft, mit dem wechselnde Kaiser...die Motoren ihrer Bomber schmieren?“, und  beklagt sich über mangelnden Zorn: „Der Zorn über die Weltverhältnisse liegt als Hund des Gehorsams unter unseren gedeckten Tischen“.    Die Parallelen zu heute sind frappierend und gewollt. Die momentane Atombomben-, Inflations- und Klima-Weltzerstörungsdrohungen, die uns alle wie in einem Schraubstock gefangen halten, finden ihren Niederschlag in den Schilderungen des Boten und heimkehrenden Kriegsgefangenen von „draußen“, aus dem Reich, ähnlich unserer Zeitungsmeldungen. Das bäuerlich-idyllische Häuschen des Herrschers wird zum eigenen Zuhause, wo wir glauben durch Bioanbau dem Inferno entkommen zu können. Die drei Herrschenden erinnern ein wenig unserem Regierungs-Dreigespann, der englisch sprechende Hosenfabrikant dem Neue- Weltordnung-Prediger USA.    Ein Stück, was sich lohnt anzuschauen, mit Erkenntnissen über unsere heutige Situation, eingebettet in Weltgeschichte, ironisch zugespitzt, kreativ erweitert, genial gespielt und inszeniert, noch schnell Karten bestellen: [email="aufbruch@gefaengnistheater.de"][color=#1155cc]aufbruch@gefaengnistheater.de [/email]

    Anja Röhl

    http://www.anjaroehl.de/

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    Davon geht die Welt nicht unter
    1 year ago
    Kritik
    ''Es geht hier vor allem auch um die „Verbrechen des Jahrhunderts“. Im Garten werden Akten aus dem römischen Archiv vergraben. Die Geschichte des Imperiums soll dem Vergessen anheimfallen. Das lässt sich heute auch anders interpretieren, wenn hier Koffer mit den Dokumenten der Wannseekonferenz verschwinden sollen. Natürlich gibt es auch die üblichen Helden und Retter des Imperiums wie den aus germanischer Gefangenschaft zurückgekehrten und für seine Ehre und den Erhalt des Reichs kämpfen wollende Verlobten Reas. Ämilian (Christian Krug) ist hier der berlinernde Hardliner, der kurz seinen Auftritt als verhinderter Brutus hat. „Die Iden des Märzes“ sind bei Dürrenmatt nur ein weiterer Scherz. Der in eigener Sache subversive Hühnerzüchter Romulus überlebt selbst den Einmarsch der Germanen, die mit Odoaker (Para Kiala) einen ebenso feinsinnigen Naturliebhaber und Landwirt haben, der sich, um seinen blutgeilen Neffen Theoderich (Josef) zu verhindern, lieber dem Romulus unterwerfen will. Das ist die Pointe von Dürrenmatts Stück, das sich als Satire auf die Weltgeschichte verstehen lässt. Heute sieht es da etwas komplizierter aus. Als kleine Aufmunterung für die gerade nicht ums Regieren zu beneidende Ampelkoalition singt das Ensemble zum Schluss „Alles im Griff auf dem sinkenden Schiff“.'' schreibt Stefan Bock am 26. August 2022 auf KULTURA-EXTRA
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