Zum Inhalt: Fast 20 Jahre lang hat René Pollesch die Berliner Volksbühne entscheidend mitgeprägt. Nach einer Schaffenszeit am Deutschen Theater kehrt er 2021 wieder zurück – als ihr neuer Intendant. Nun inszeniert er erstmals am Friedrichstadt-Palast Berlin – gemeinsam mit Co-Regisseur und Schauspieler Fabian Hinrichs. Beide Künstler verbinden höchst erfolgreiche Bühnenproduktionen, darunter das mehrfach ausgezeichnete Stück ‚Kill Your Darlings!‘. Für den Palast entwickeln sie das Stück ‚Glauben an die Möglichkeit der völligen Erneuerung der Welt‘. Neben Fabian Hinrichs als Solist stehen 28 Tänzer*innen der Palast-Compagnie auf der größten Theaterbühne der Welt. Premiere ist am 9. Oktober.
Mit Fabian Hinrichs und Tänzer*innen des Palastes: Théa Barnwell, Azama Bashir, Mirela Bauer, Marten Baum, Anastasiya Berlovich, Miranda Bodenhöfer, Paolo Busti, Valeria Ciampi, Debora Cristina Do Nascimento Goulart, Maria Esau, Ezzat Wahid Ezzat Abdelmoty Gamel, Dimitri Genco, Lisa Jost, Marcello Letizia, Djalil Makhamud, Gréta Nagyová, Anudari Nyamsuren, Helena Polcikova, Pavel Pukha, Sofia Schabus, Irina Spiridonova, Filip Vereš, Hanna Woldt, Justyna Woloch, Christine Wunderlich, Zahari Zahariev
Einfallsloser Ausflug von Pollesch/Hinrichs in den Friedrichstadt Palast
5 Jahre her.
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Kritik
Wie man Hinrichs aus glanzvollen Volksbühnen-Auftritten wie „Kill your darlings“ und „Keiner findet sich schön“ kennt, tigert er hibbelig über die gewaltige Bühne des Show-Palasts und nutzt auch die Treppen-Aufgänge ins Publikum. Im typischen Hinrichs-Ton lamentiert er über die Einsamkeit, streut einige skurrile Beobachtungen und Kindheits-Anekdoten ein.
Diese Hinrichs-Soli sind aber nicht mehr als kleine Bröckchen, um das Publikum anzufüttern, und haben nicht das Kaliber seiner stärkeren Volksbühnen-Abende.
Auch tänzerisch enttäuscht dieser nur knapp eine Stunde kurze, leichtgewichtige Abend. Von der Opulenz der Palast-Shows ist ebenfalls nur wenig zu spüren. Bewusst unbeholfen und asynchron wuselt Hinrichs zwischen den Choreographien der Profis aus dem Palast-Ensemble und schwingt mit ihnen das Revue-Tanzbein. Bis auf ein paar kleine Laser-Show-Momente, eine Bolero-Nummer und den Schluss-Gag, bei dem Hinrichs über dem Ensemble schwebt und zu furchtbar sentimentalem Pop durch die Luft gewirbelt wird, ist wenig an Budenzuber und Glamour geboten.
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''Pollesch und Hinrichs, Co-Regisseur des Abends, spielen mit den Mitteln dieses Ortes, unterlaufen und feiern sie: Mal wird Ravels Boléro eingespielt, bunte Laser flackern über die Bühne, einmal wird ohne Musik das Bein gehoben und die berühmte Friedrichstadt-Palast-Chorusline getanzt – Revue-Zitate, mit denen die beiden wie in einem Zauberkasten spielen. Schon bei "Kill your Darlings" 2012 an der Volksbühne hatte Hinrichs gezeigt, dass er Polleschs Arbeiten einen neuen Ton zu verleihen weiß. Den Pollesch-Sound aus intellektuellem Boulevard-Talk, Diskurs-Geschwurbel und jeder Menge Ironie hat er durch einen viel menschlicheren, privaten, zärtlichen ersetzt. Sein halbironisches Pathos geht stets einher mit einem verschmitzten, warmen Lächeln.
Die letzten Worte gehören noch einmal dem Sänger Morrissey: "Es gibt ein Licht, das niemals ausgeht", zitiert Hinrichs. Und dazu schmettert Céline Dion ihren Hit "All by myself" aus der bombastischen Soundanlage. Ein Abend, der über unser Zusammenleben nachdenkt und einem dabei heiter-wehmütig das Herz öffnet – und zwar mit den ältesten und schönsten Theatermitteln: Schauspiel, Stimme, Raum, Menschlichkeit.'' schreibt Barbara Behrendt auf rbbKultur
''Auch wenn die Bühnentechnik des Friedrichstadt-Palastes mit Licht- und Lasereinsatz immer wieder ihre Muskeln zeigt, eine große leuchtende Showbrücke auffährt und Pink Floyd und Van Halen aus den Boxen dröhnen, wird das reine Unterhaltungsprinzip einer Revue doch immer wieder unterlaufen. Hinrichs spannt den Erzählbogen vom Kindheitstrauma eines prügelnden Vaters über Kafka auf Crack, Jean Genet, Dieter Bohlen und dem unglücklichen Daniel Kübelböck bis in die Gegenwart voller „schöner einsamer Menschen“, die sich im Supermarkt Telefonnummern zustecken. Man sieht TV-HD und macht Selfis, da sonst keiner da ist. Doch bei allem Eskapismus bleibt die Leere und das Gefühl „lebendig begraben zu sein“ daheim allein auf der Ledercouch. Eine Stadt und Plätze aus Stein, lauter Unorte. Eine „Welt, die so aussieht, als wäre man dahin entführt worden".
Der Sozialismus ging unter, als sich Helmut Kohl hier im Haus auf den Platz von Erich Honecker setzte. Wohl gemerkt: auf ihn drauf, wie Hinrichs weiß. Aber auch der Kapitalismus mit seiner „Verwertungslogik“ und die schöne Konsumwelt („Zalando ist doch kein Zuhause.“) bekommen ihr Fett weg. Und wenn selbst der Lufthansa-Chef gegen Inlandsflüge ist, da muss man doch stutzig werden. Alle utopischen Energien würden immer sofort abgesaugt, bemerkt Hinrichs empört. Er möchte einmal nicht einsam sein, ein Zelt kaufen und mit jemandem angeln gehen. Dazu kriechen alle unter große wallende Tücher. Zum Ende wird’s dann richtig schön kitschig, wenn Hinrichs vor Sternenhimmel am Seil schwebt und Céline Dion immer wieder zu "All By Myself" ansetzt. Da leuchtet noch mal das „Licht das niemals ausgeht“ als großer Hoffnungsschimmer. Zumindest darauf, dass René Pollesch und Fabian Hinrichs bald wieder im alten Stammhaus Volksbühne zu sehen sind.'' schreibt Stefan Bock am 8. November 2019 auf KULTURA-EXTRA