Kritik
Am Anfang war's ein Stück von William Shakespeare, uraufgeführt im Jahre 1598, eine Säule der englischsprachigen Klassik, seither unter Bühnenprofis und Laiendarstellern gleichermaßen beliebt. Ein Herrscherpaar, junge Liebende, eine Schar von Handwerkern und Elfen samt Elfenkönig sowie ein Zaubertrank sorgen für einen belebten Handlungsablauf, mit dem sich Alt und Jung identifizieren können. Felix Mendelssohn Bartholdys Bühnenmusik zum "Sommernachtstraum" war 1843 erstmals zu hören. Peter Pears und Benjamin Britten formten aus Shakespeares Text ein Opernlibretto, und Britten gab ihm die musikalische Gestalt. Die Uraufführung fand 1960 in der Jubilee Hall von Aldeburgh statt.
Die Neuinszenierung von Brittens Opus an der Deutschen Oper Berlin kann mit zwei unstrittigen Vorzügen aufwarten: einem klaren Regiekonzept und der sensiblen musikalischen Gestaltung.
Regisseur Ted Huffmann stellt die Handlung konsequent unter das imagnierte Dach eines Zauberwaldes, in dem vieles anders ist als in unserer gewohnten realen Welt. Allerdings baut er dabei auf die Fantasie des Zuschauers, und wem diese Dimension versagt ist, der wird sich an diesem Abend irgendwie einsam oder sogar gelangweilt fühlen.
Die Bühne von Marsha Ginsberg ist zwei Akte lang in kahles Hellgrau getaucht. Kein Blättchen und keine Ranke stützt die Illusion vom Zauberwald, wenn man von einem herabschwebenden Wölkchen und einem stimmungsvollen Sichelmond absieht. Dort herrschen Oberon (ein sanfter Countertenor: James Hall) und Tytania (ein kraftvoller Sopran: Siobhan Stagg) über ein Heer von Feen ( in den wunderbar stimmungsvollen Kostümen von Annemarie Woods: der Kinderchor der Deutschen Oper Berlin). Dann ist da noch der virtuos an zwei hauchdünnen Seiten turnende Puck (Jami Reid-Quarrell), dem auch das Schlußwort des ganzen Abends bleibt. Oberon erklärt sich einfach für unsichtbar und stiftet zauberwäldischen Schabernack. Puck bekommt den Auftrag, den Saft der Liebesblume zu beschaffen, und mit diesem Destillat werden nun die Augen mehrerer Personen benetzt, deren Sinne sich dadurch in kurioser Weise verwirren. Zwei Liebespaare treten auf: Hermia (Karis Tucker) und Lysander (Gideon Poppe) gefolgt von Demetrius (Samuel Dale Johnson) und Helena (Jeanine de Bique), aber es muß sich erst klären, wer nun zu wem gehört. Sechs Handwerker aus Athen treten auf, die bei der bevorstehenden Hochzeit des Athener Herzogs Theseus (Padraic Rowan) mit der Amazonenkönigin Hippolyta (Annika Schlicht) das Laienspiel "Pyramus und Thisbe" aufführen wollen.
Im zweiten Akt tut der Zaubersaft der Liebesblume nun nachhaltig seine Wirkung, von Puck kräftig unterstützt. Der macht aus dem Weber Bottom (überaus ergötzlich: James Platt), der in der Handwerkertruppe den Pyramus spielen soll, ein Wesen mit Eselskopf, in das sich nun Tytania verliebt.
Der dritte Akt überrascht mit gewandelter Grundfarbe: ein leuchtendes Rot signalisiert den Thronsaal des Herzogs, wo die beiden Liebespaare als Gäste der herrlich albernen Aufführung von "Pyramus und Thisbe" folgen. Dann ist auch schon Schluß, Oberon und Tytania sind versöhnt, und Puck spricht seinen berühmten Schlußmonolog.
Was aber diese Aufführung kongenial begleitet und auf eine besondere Höhe erhebt, ist die musikalische Gestalt, geformt vom spezialisierten Orchester der Deutschen Oper unter Leitung ihres überaus einfühlsamen Generalmusikdirektors Donald Runnicles. Was der in spätromantischen Klangwogen so geübte Schotte hier an äußerst feinfühliger, sanfter Klangregie bewirkt, ist bemerkenswert. In dieser höchst feinsinnig komponierten Partitur steckt der eigentliche Schlüssel zur Welt des Zauberwaldes.
Viel Applaus vom großenteils verzauberten Premierenpublikum.
Horst Rödiger
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