Bewertung und Kritik zu
SCHWARZWASSER
von Elfriede Jelinek
Regie: Christina Tscharyiski
Premiere: 18. August 2021
Berliner Ensemble
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Zum Inhalt: "Je friedfertiger und vernünftiger dieser Gott auftritt, desto mehr treibt er uns hinein, wir wollen ja nicht, aber wir müssen. Er treibt uns der Gewalt in die Arme, damit er dann selbst als Vernunft und Friede auftreten kann. Damit er uns ordnen kann, aber dieses Ordnen ist im Gegenteil das Verwischen aller Unterschiede.“
Die permanente Unruhestifterin Jelinek hat erneut zugeschlagen: Mit ihrem jüngsten Text reißt sie das konfliktträchtige Gegenwartspanorama ohne Rücksicht auf Verluste weit und unerlöst auf. In sprudelnden Wortkaskaden und Gedankenskulpturen seziert sie die Klimakatastrophe ebenso wie rechtspopulistisches Gedankengut, das sich „wie die Pest“ in immer atemberaubenderem Tempo weltweit ausbreitet und beinahe sämtliche Lebensbereiche infiziert. Ausgangspunkt für ihr Schreiben war die Ibiza-Affäre, die im Mai letzten Jahres für ein Beben in der österreichischen Politik sorgte. Doch wie stets geht es Elfriede Jelinek weniger um Tagesaktualitäten denn um Grundsätzliches. So gerät die gottgleiche Selbstinszenierung eines Politikertypus ebenso ins Visier wie das gewalttätige Denken und der Anspruch auf Herrschaft über Mensch und Natur, der ihm zu Grunde liegt. Nicht nur die Medien-Landschaft soll verkauft werden, sondern die heimische Natur gleich mit: Flüsse und Seen könne man gewinnbringend privatisieren, Berge und Täler für den lukrativen Straßenbau nutzen. Jelineks hyperassoziative Textsuada unternimmt einen Rundumschlag durch das, was die Gegenwart so toxisch-infektiös und die Zukunft so fragwürdig macht – und durschreitet dabei mühelos die Jahrhunderte zurück zum Ursprung der Gewalt, der Ideologie und der Konkurrenz: zu Euripides‘ "Backchen“. Die rauschhafte Entgrenzung, der Verlust von Rationalität, die Sehnsucht nach Identität und Gemeinschaft, ebenso wie der mahnende Ruf nach Vernunft und Maß, nach Stabilität und Ordnung, die das antike Drama in die Widersacher Dionysos und Pentheus einschreibt, gerinnen Jelinek zu Fluchtpunkten und zum Zerrspiegel einer Gegenwart, die sich nur noch als Satire ertragen lässt und sich dabei ständig selbst unterbietet.
Regie: Christina Tscharyiski
Bühnenbild & Video: Dominique Wiesbauer
Kostüme: Svenja Gassen
Künstlerische Beratung: Clara Topic-Matutin
Musik: Laura Landergott, Jessyca R. Hauser