Zum Inhalt: Berlin am Vorabend der Machtergreifung Hitlers, die Metropole taumelt auf ihren Untergang zu. Fabian irrt als melancholischer, humorvoller Beobachter durch den sich bis zur Bewusstlosigkeit amüsierenden Moloch. Kästner, dessen Bücher von den Nationalsozialist*innen verbrannt wurden, schrieb 1950 über seinen zensierten Roman Fabian, der erst 2013 in seiner Urfassung erschien:
"Heute sind bereits neue, genauer, sehr alte Mächte fanatisch dabei, wieder standardisierte Meinungen durch Massenimpfung zu verbreiten. Noch wissen viele nicht, viele nicht mehr, dass man sich Urteile selber bilden kann und sollte. Der Roman Der Gang vor die Hunde wollte vor dem Abgrund warnen, dem sich Deutschland und damit Europa näherten!“
Regie: Frank Castorf Bühne: Aleksandar Denić Kostüme: Adriana Braga Peretzki Sounddesign: William Minke Licht: Ulrich Eh Videokonzeption: Jens Crull, Andreas Deinert Dramaturgie: Amely Joana Haag Künstlerische Produktionsleitung: Sebastian Klink Live-Kamera: Andreas Deinert, Kathrin Krottenthaler Tonangel: Matthias Hofmann, Jonathan Bruns Live-Schnitt: Jens Crull, Maryvonne Riedelsheimer
Castorf-Autopilot und Stinkefinger mit Hauch von Nichts
3 Jahre her.
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Kritik
Wie Ostermeiers "Subutex" leidet auch Castorfs „Fabian“ an einer schlurfenden Leerstelle im Zentrum. Volksbühnen-Veteran Marc Hosemann flüchtet sich in Heinz Rühmann-Parodien und langweilt während der ersten beiden zähen Stunden mit einer Sauf- und Puff-Tour mit seinem Kumpel Labude, den Andreas Döhler wie 100 andere Andreas Döhler-Rollen spielt. Wie „auf Autopilot“ wirkt Castorfs Theater an diesem Abend, stellte Peter Laudenbach in der SZ fest.
Frank Büttner ist zuverlässig zur Stelle, wenn es darum geht, Kästner-Fremdtext von der Rampe zu brüllen oder toxische Männlichkeit in Reinkultur zu performen. Auch Margarita Breitkreiz ist auf der Höhe alter Volksbühnen-Kunst und schreit sich in der zweiten Hälfte durch die Rolle der Fabian-Freundin Cornelia, die sich in der Filmbranche hochschläft. Neben den beiden Castorf-Stammkräften wirkt auch Sina Martens so souverän, als sei sie schon seit ewigen Zeiten am Rosa-Luxemburg-Platz dabei gewesen. Dieses Trio sorgt dafür, dass sich der Abend immerhin auf Castorf-Normal-Temperatur heranrobbt.
Ein typischer Castorf-Move ist der ironische Stinkefinger, den er den Feministinnen zeigt, die sich seit Jahren über sein Frauenbild beschweren. Die Burlesque-Tänzerin Madita Mannhardt und Clara De Pin tragen einen Hauch von Nichts.
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''Mein Fabian-Highlight Nummer 2 ist Castorfs hochprivate Einarbeitung seiner selbst, was mir der Hosemann auch mittels SMS-Zitaten aufs Dezente oder weniger Dezente offerierte; und ich ahnte, dass es sich womöglich um Jeanne Balibar und den Sichaufgeschlüsselthabenden gehandelt haben könnte, war mir da jedoch nicht sicher - was hingegen richtig und plausibel 'rüberkam, war jener so verflixte Kunst-und-Leben-Gegensatz, wie ihn z.B. Thomas Mann thematisierte. Und warum nicht Castorf auch? Es ist sein gutes Recht, und seine monologisierenden Betrachtungen oder Entschlüsse zu dem ihn und mich und viele andere so auszehrenden Liebeslust-und-leidtheater haben schon einen Verallgemeinerungseffekt.
Der Wolfgang Michael (als schattenabluchsender Teufel) und der Hosemann (als ihm verfallener Peter Schlemihl) boten bei ihrer hochgrandios-gigantisch-komischen Kartoffelsalatszene Anlass, selbige schlussendlich als mein Highlight Nummer 3 zu attestieren.
Unvergesslich ebenso Jonathan Kempf, der in dem letzten Fabian-Stündlein eine schier atemberaubende und eigentlich ganz unbeschreibliche Performance hinlegte - die muss man live gesehen und gehört (!) haben, um mitreden zu können; lässt sich einfach nicht in Worte fassen!! Überwältigend wie eh und je.'' schreibt Andre Sokolowski am 15. Juni 2021 auf KULTURA-EXTRA
''Die Männer, sagt der Abend, sind den emanzipierten Sexbomben einfach nicht gewachsen. Das klingt simpel, ist im selbstreferenziellen Castorf-Theater aber durchsetzt von Zitaten. Dass sich der Regie-Veteran mit einer überlangen Kartoffelsalatschlacht selbst zitiert, mag man noch entschlüsseln. Doch spätestens, wenn aus Liebesbriefen von 2018 zitiert wird, die an einen "Frank" gerichtet sind, geht es eindeutig zu weit mit dem überheblichen Insider-Theater. Hier kann nur noch mitreden, wer den Kantinen-Klatsch kennt.
Das alles ist nicht nur nervtötend, es ist auch deprimierend. Dieses Theater der brüllenden Testosteron-Männer, der dominanten, jungen nackten Frauen als wahr gewordene feuchte Männerträume, der Zersplitterung, Ironiesierung und Diskursivität - dieses Theater für die eingeweihten Castorf-Jünger, das sich ausschließlich selbst feiert, wirkt hoffnungslos anachronistisch. Die lange Pandemie-Pause hat die Sinne geschärft für Kunst, die sich überlebt hat. Und ein Castorf-Abend dieser Art und Länge gehört eindeutig dazu.'' schreibt Barbara Behrendt auf rbbKultur