Kritik
Man mag nicht glauben, dass dieses Musical im nächsten Jahr schon sein 50-jähriges Jubiläum feiert, scheint es doch immer wieder wie gerade uraufgeführt, wenn die Veranstalter die Rocky Horror Picture Show in den Time Warp schicken. Was vielleicht auch mit daran liegt, dass die Inszenierung jedes Mal einen Jungbrunnen durchläuft, 2018 hat das Enfant Terrible zum letzten Mal Berlin erfolgreich unsicher gemacht. Zu verdanken ist die jetzige Bühnenfassung Sam Buntrock, der sie 2008 unter Aufsicht des Autors Richard O’Brian zu Papier gebracht hat, diese wurde dann tatsächlich in Berlin uraufgeführt. Und auch für die diesjährige Tournee haben es, wie nicht anders zu erwarten war, wieder jede Menge tiefer Dekolletés, glitzernde Mieder, Strapse, üppiges Make-Up und knallige Perücken auf die Bühne des Admiralpalastes geschafft, nicht umsonst beeinflusst die Show bis heute Drag Shows, Rockbands, Theater und die Burlesque-Szene.
Jedenfalls kommt die bizarre Geschichte des jungen Pärchens Brad und Janet, das nach einer Autopanne in stürmischer Nacht in die Fänge des exzentrischen außerirdischen Wissenschaftlers Dr. Frank’n’Furter gerät, beim Publikum wieder bestens an. Songs wie „Time Warp“, „Sweet Transvestite“ oder „Touch-A, Touch-A, Touch-Me“ lassen das Lebensgefühl der 70er Jahre und unterschiedliche Generationen Zuschauer aufleben und eingefleischte Rocky-Horror-Fans an den berühmt berüchtigten Stellen ihre Sitznachbarn mit Wasser aus Spritzpistolen erfrischen, Reis, Konfetti und Klopapier werfen, Leuchtstäbe schwenken und mit Holzrasseln klappern. Auch kostümmäßig macht die eine oder andere Zuschauerin den Protagonisten auf der Bühne durchaus noch Konkurrenz. Und die Kult-Songs tun ihr Übriges, dazu gehört natürlich auch „I’m going home“, die letzte Nummer von Frank’n’Furter, bevor er vom Butler abgelasert wird. Der exzentrische Wissenschaftler vom Planeten Transsexual darf sich der Sehnsucht hingeben, auf der Erde bleiben zu wollen, um für immer Sex mit Menschen haben zu können. Nachdem 2015 der Brite Rob Fowler diese dämonisch-erotische Figur unschlagbar gut verkörpert hat, 2018 Gary Tushaw in die Fußstapfen trat, wird nun Oliver Savile seiner Rolle mehr als gerecht, kann darüber hinaus bestens tragen, was seine Figur fordert, viel ist es in der Regel ja nicht. Und auch er gibt dem exzentrischen Transvestiten einen neuen Look, entlockt ihm hier und da sogar ein paar deutsche Worte. Statt schwarzgelockt wie Tim Curry im legendären Kinofilm tritt auch Savile als blonder Vamp mit Mieder und Strapsen auf, legt seine Figur optisch als „Madonna auf Steroiden“ an. Statt des erbetenen Telefons präsentiert er den biederen Verlobten sein Retortenwesen Rocky, das er wieder mit dem makellosen Körper von Ryan Goscinski zu seinem sexuellen Vergnügen erschaffen hat. All diese Einflüsse bleiben nicht ohne Wirkung auf das frisch verlobte Paar, das eingeschüchtert und umgarnt von all den glamourösen Geschöpfen im Schloss Furters auf dem Planeten Transsexuell in Transsylvania zunehmend die Reize der körperlichen Lust entdeckt. Wieder witzig und sehr plakativ in einer Art Scherenschnitt dargestellt sind die Szenen, in denen Furter nacheinander erst Janet und dann Brad verführt. Sydnie Hocknell spielt ihre Magenta mit viel Verve, Eleanor Walsh tut den Ohren wie immer als Columbia ein bisschen weh, herrlich zwei kurze Solovorstellungen der beiden. Und auch Christian Lunn gibt seinen Riff Raff schön kauzig.
Die Musik wird wieder live gerockt, die fünfköpfige Band schickt ihren Sound von der in die Bühne eingebaute Empore.
Ach ja, dann ist da ja noch der Erzähler. Bzw. füllen diesen Job inzwischen recht viele verschiedene prätentiöse Persönlichkeiten aus, die sich auf die verschiedenen Spielorte und Daten verteilen, Gregor Gysi ist neu im Boot. Bei der Berliner Premiere stellt sich Ralph Morgenstern den Boring-Rufen aus dem Publikum, begegnet ihnen aber mit einer selten erlebten Souveränität, zudem noch mit grandiosem Humor und, zum Schluss, noch in Strapsen. Die ihm hervorragend standen. Eine großartige Besetzung!
Noch bis Mitte August tourt die Show durch deutsche Städte, auch Zürich und Wien werden angesteuert. Am Ende holen sich die 13 Darsteller verdient Standing Ovations ab. Als es sich zur Schlussmusik endlich noch ein bisschen tanzen lässt, eine schöne Ablenkung in diesen Zeiten …