Regie: Marcel Kohler Premiere: 25. August 2024 Lausitz Festival, Görlitz
Zum Inhalt: Shakespeares Meisterwerk über zerstörerische Wut und die tödlichen Beziehungen zum Anderen und ein erst seit wenigen Jahren dem englischen Dramatiker zugeordneter Text werden als immersives Stationendrama in der ehemaligen Glasfabrik Telux in Weißwasser von Regisseur Marcel Kohler in Szene gesetzt.
Schon die Ausgangslage ist verwickelt: Venezianer und Türken, westliche Wirtschaftsmacht und Militärmacht aus dem Osten, streiten um das heute geteilte Zypern. Jago ist nicht befördert worden und setzt als Vergeltung für die durch General Othello erlittene Herabsetzung eine Intrige in Gang, die dem Befehlshaber der venezianischen Flotte weismacht, seine Frau Desdemona würde ihn mit seinem Günstling betrügen …
Text und Regie: Marcel Kohler, Kostüm und Bühnenbild: Torsten Köpf, Musik: Christoph Bernewitz, Video: Linn Reusse, Licht: Henning Streck, Dramaturgie: Michael Höppner.
Statt gewohntem Guckkasten-Theater hat er die Handlung auf folgende Stationen aufgeteilt: das Bett der Desdemona, die Wohnung der Brabantia und eine Bar. In drei Gruppen wird das Publikum durch die Danner-Halle auf dem TELUX-Industriegelände geführt. Das Geschehen der anderen Schauplätze dringt herüber: oft wehen die Klänge der Live-Musik von Christoph Bernewitz und Evi Filipoou herüber oder huschen Gestalten im Hintergrund vorbei. Zum Ende jeder Performance gellen die Schreie von Desdemona (Linn Reusse) über das Areal, die vergeblich versucht, dem Eifersuchtsmord durch Othello (Leonard Burkhardt) zu entkommen.
Die Gruppe mit den blauen Bändchen hat das Glück, gleich mit dem stärksten Teil des „Othello“-Puzzles zu beginnen. Als intimes Kammerspiel legen Reusse und Burkhardt ihre Szenen in den privaten Räumen der Desdemona an, mit Cassio (Tom Gramenz) und Jago (Götz Schubert) betreten auch die beiden wichtigsten anderen Protagonisten der Tragödie die Szenerie. In dieser Passage des Triples sitzt das Publikum am nächsten dran, die Auftritte sind am feinsten gearbeitet und dieser Teil ist auch der komödiantistische mit vielen kleinen Brechungen und Auflockerungen.
Nach fast drei Stunden erheben sich plötzlich einige Frauen und Männer vom Stadtchor Weißwasser, die bis dahin völlig unverdächtiger Teil unserer Gruppe durch den Parcours waren, und steigern sich in wütende Tiraden eines rechten Mobs hinein. Kohler schließt seine „Othello“-Textfassung mit dem Shakespeare-Fragment „Die Fremden“ ab. Mitten in der aufgewühlten Stimmung nach dem Messer-Attentat von Solingen und kurz vor den Landtagswahlen in Sachsen und den Nachbarländern Thüringen und Brandenburg wirkt dieser Schluss zwar etwas plakativ als Wink mit dem Zaunpfahl. Das Team zieht für dieses Finale jedoch effektsicher alle Register des Überwältigungstheaters.