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Fidelio

Bewertung und Kritik zu

FIDELIO
von Ludwig van Beethoven
Regie: Dagmar Schlingmann 
Premiere: 10. Oktober 2020 
Staatstheater Braunschweig

Zum Inhalt: Unter dem Namen Fidelio – »der Treue« – verdingt sich Leonore als Gehilfe beim Gefängniswärter Rocco. Sie will ihren Gatten Florestan befreien, der widerrechtlich inhaftiert wurde. Doch während sie noch um Florestans Freiheit kämpft, ordnet der korrupte Gouverneur Don Pizarro schon die Hinrichtung des ihm unliebsamen Gefangenen an, um seine eigene Haut zu retten. Nicht umsonst aber gilt Beethovens Werk als Befreiungsoper …

Zum Ausklang des Beethovenjahres 2020 präsentiert das Staatstheater Braunschweig einen »Fidelio«, wie Sie ihn noch nie gehört haben. Um den erforderlichen Maßnahmen hinsichtlich der Kontaktbeschränkungen kreativ zu begegnen, präsentiert das Staatsorchester unter der Leitung von Srba Dinić »Fidelio« in einer außergewöhnlichen Orchesterbesetzung. Auf Grundlage verschiedener Harmoniemusiken erklingt Beethovens Oper in einer Fassung für Bläserensemble – ein zu Beethovens Zeiten beliebtes Arrangementverfahren, um die neuesten Erfolgsopern auch in kleinerer Besetzung überall zu Gehör bringen zu können.

Musikalische Leitung: Srba Dinić
Regie: Dagmar Schlingmann
Co-Regie: Alexandra Holtsch
Bühne: Sabine Mader
Kostüme: Inge Medert
Video: Alexandra Holtsch, Gregor Dobiaschowski
Licht: Frank Kaster
Chor: Georg Menskes, Johanna Motter
Dramaturgie: Theresa Steinacker

5 von 5 Sterne
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Beklemmender FIDELIO in Braunschweig
4 Jahre her.
Kritik

Zur Eröffnung der Musiktheatersaison 2020/21 startet das Staatstheater Braunschweig mit Beethoven´s einziger Oper FIDELIO. Coronabedingt müssen alle Darsteller und auch das auf 15 Musiker zusammengeschrumpfte Staatsorchester die geforderten Mindestabstände einhalten. Auch die Zuschauer sind auf Abstand platziert und in Braunschweig auf 200 Gäste beschränkt. Der Chor ist gleich komplett von der Bühne verbannt und wird über Band eingespielt. All das sind Bedingungen, die einem energievollen, intensiven Opernabend entgegenstehen und diese Distanz bleibt auch aus jeder Pore des Theaterraums über den ganzen Abend schmerzlich spürbar. Und trotzdem ist dem Regieteam um Intendantin Dagmar Schlingmann Unglaubliches gelungen. Die Sänger wurden offensichtlich ermutigt die von außen aufoktroyierte Distanz zum zentralen Seelen-Bestandteil ihres jeweiligen Charakters auf der Bühne zu machen. So stehen alle Darsteller nicht nur räumlich, sondern auch tatsächlich für sich allein. Alle Beziehungen sind und bleiben bis zum Schluss brüchig und verharren in einer beklemmenden Unklarheit. Der von Sabine Mader erstellte halbrunde im kühlen Silber gehaltene Bühnenraum, sowie die dazu passend entworfenen zurückgenommenen, nüchternen Kostüme (Inge Medert) unterstützen das Konzept auf das Gelungenste. Die ohnehin problematischen Orignal-Fidelio-Sprechtexte wurden gestrichen. Stattdessen erleben wir auf der Bühne die szenisch eingebundene Schauspielerin Silke Buchholz, die mit eindringlicher und trotzdem zurückhaltender und darum umso nachhaltig wirkender Sprechstimme Texte von Zola, Stokowski, Jens, Enzensberger, Bloch und anderen zum Besten gibt. Dieser Kniff, der eine zusätzliche Metaebene erstellt ist äusserst gelungen und schenkt dem Publikum viel Raum zum Nachdenken. So stellen die Texte aktuelle Bezüge etwa bzgl. der Lage in Weissrussland her, erinnern uns aber auch daran, dass Julian Assange in einem westeuropäischen Gefängnis sitzt und dort gemäß Nils Melzer dem UNO-Sonderberichterstatters für Folter bis zum heutigen Tag zumindest menschenunwürdig gefangen gehalten wird.

Auch musikalisch ist es ein bemerkenswerter Abend. Srba Dinic, Generalmusikdirektor der Staatsorchesters gelingt Großartiges. Natürlich vermisst man ab und zu den grossen vollen Beethoven´schen Orchesterklang. Und es wäre auch schlimm, wenn dem nicht so wäre, denn dann würde man Personalkürzungen in deutschen Orchestern das Wort reden. Doch im Laufe des Abends kann man in der Tat vergessen, dass das Braunschweiger Ensemble ohne Streicher auskommen muss. Und das deswegen, weil es immer wieder gelingt einen grossen Klangteppich zu weben. Dabei verdient jedes einzelne Orchestermitglied grossen Respekt. Allein konditionell ist es eine grosse Herausforderung 80 Minuten ohne Pause durchzuspielen und die fehlenden Instrumente klanglich nicht nur zu ersetzen, sondern deren Farbreichtum aufzuspüren und dann auch tatsächlich zum Klingen zu bringen. Da steckte in der Vorbereitung, bei den Proben und in der Vorstellung selbst viel Arbeit drin. Und das hört man.

Nun zu den Sängern: Susanne Serfling legte für meinen Geschmack ihre große Leonore-Arie im ersten Akt etwas zu defensiv und kontrolliert an, liess dann aber im zweiten Akt ihre flexible Stimme kraftvoll erblühen. Ausserdem schafft sie es immer wieder klanglich berührende Momente zu erschaffen, so etwa im Duett mit Florestan, wenn sie dessen Namen auf einer Fermate in klanglicher Glückseligkeit erklingen lässt. Marc Horus trumpft mit einer vorbildlichen Textverständlichkeit, sowie einer für die Rolle des Florestan aussergewöhnlich klangschönen Stimme auf. In der für viele Tenöre nahezu unsingbar geltenden Kerker-Arie gelingt dem Sänger die Symbiose von technischer Perfektion und emotionaler Kraft, was ihn zu seinen bereits im Repertoire befindlichen Wagner-Partien nicht nur optisch prädestiniert. Die Marzeline von Ekaterina Kudryavtseva überzeugte mit geschmeidigem, abgerundetem Sopran. Rainer Mesecke´s Rocco, dessen Arie im ersten Akt leider gestrichen wurde, hinterlässt einen technisch sehr abgerundeten Eindruck. Joshka Lehtinen, der demnächst in Braunschweig gleich zweimal als Prinz (Rusalka, Zauberflöte) zu erleben ist, meistert die sängerisch anspruchslose Partie des Jaquino mühelos. Valentin Anikin´s Pizarro lässt der Rolle entsprechend ungeahnte Klanggewalt erahnen. Ihm ist zu wünschen, dass er zukünftig den Klang mehr in die Ferne projiziert und etwas mehr Disziplin bzgl. Vokalklarheit und der Artikulation der Konsonanten entwickelt, um seine großartigen stimmlichen Möglichkeiten voll auszuspielen. in diesem Zusammenhang noch ein Wort zur Textverständlichkeit im Allgemeinen. An diesem Abend schafften es die muttersprachlich besetzten Partien mühelos vokalunverzerrt zu singen und auch die klingenden Konsonanten zum Erblühen zu bringen. Bei den anderen Sängern müsste zukünftig intensiver an der Sprachbehandlung gearbeitet werden, Dies ist mitunter zeitaufwendig und bedarf einer intensiven Detailarbeit. Der Mehrwert für das Publikum und letztlich für die Sänger selbst wäre hingegen immens. Dieser Verantwortung sollte sich das musikalische Team des Staatstheaters zukünftig stellen. Ansonsten war es ein rundum gelungener Opernabend auf Spitzenniveau.

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