Zum Inhalt: Ein kleines, abgelegenes Dorf irgendwo mitten in Europa, an einem verregneten, düsteren Herbstabend. Es regnet oft, eigentlich ununterbrochen, seit Monaten schon. Alda V., die zusammen mit ihrem Mann René das Hotel »Zum Alten Kontinent « betreibt, fährt einen Jungen auf der Landstraße an, nachdem sie von einer Besprechung mit dem Dorfobersten zurückkommt – zu allem Überfluss schwer angetrunken, denn bei der Besprechung gab es reichlich Schnaps. Der Junge ist auf der Flucht und möchte bloß schnell weiterziehen, allerdings ist er verletzt und kann nicht ins Krankenhaus gebracht werden, ohne dass Alda auffliegen würde. Also wird er im Dorf verarztet und im Hotel versteckt. Schon bald werden die anderen Dorfbewohnerinnen und -bewohner neugierig und argwöhnisch, richten sich Ressentiments, erotische Sehnsüchte, Forderungen und Rachefantasien auf den Fremden. Der Fremde gerät ins Spiel verschiedenster widersprüchlicher Interessen. Außerdem wirft das Leben im Dorf für ihn Fragen auf: Warum leben dort keine Kinder? Nach welchen Regeln leben die wenigen Menschen hier zusammen? Warum sind alle so merkwürdig misstrauisch? Er kommt einem düsteren Geheimnis auf die Spur.
Mit: Bernardo Arias Porras, Veronika Bachfischer, Jule Böwe, Stephanie Eidt, Felix Römer, Ruth Rosenfeld, David Ruland, Kay Bartholomäus Schulze
Regie: Anne-Cécile Vandalem Bühne: Karolien de Schepper, Christophe Engels Kostüme: Laurence Hermant Bildgestaltung: Federico d’Ambrosio Video: Guillaume Cailleau Musik: Pierre Kissling Dramaturgie: Nils Haarmann Licht: Erich Schneider
''Der Titel "Die Anderen", das Thema der Fremden, die man nicht aufnehmen möchte oder darf, deuten natürlich unübersehbar auf politische Motive hin. Der andauernde Regen und die Rede von Waldbränden im Süden, die die Menschen zur Flucht drängen, sind Hinweise auf den Klimawandel. Das Hotel, durch das der Regen tropft und dessen Tür klemmt, trägt zudem den sprechenden Namen "Zum Alten Kontinent" – noch deutlicher geht’s kaum, dass damit Europa gemeint ist, das seine Türen vor Fremden verschließt. Das Politische ist jedoch nur Dekor – wer mehr erwartet, wird enttäuscht sein.
Viel deutlicher dominiert ein archaisches Motiv, das am Ende noch explizit durchexerziert wird: das der Schuld, die nach einem Opfer verlangt. Vandalem inszeniert hier weniger grotesk als in ihren früheren Arbeiten, in denen immer mal wieder Zombies oder Eisbären aus dem Nichts aufgetaucht sind. Diese vergleichsweise realistische Tendenz macht den Thriller letztlich stringenter. Ein Abend mit nicht mehr und nicht weniger als hoch professionell inszenierter, spannender Unterhaltung.'' schreibt Barbara Behrendt auf rbbKultur
''Wer hätte übrigens gedacht, dass sich gelegentlich der großen und gleichsam finalen Martinsgans-und-Festmahl-Szene justament herausstellte, dass es sich bei den im mitteleuropäischen Walddorf "abgehängten" sechs Hinterwäldlern um Menschenfresser gehandelt hatte?!
Hatte allerdings dann nicht so ganz verstanden, wie der doch recht umständlich und quasi post mortem erzählte Handlungsstrang um die das Stück zusätzlich noch bewegt habende Frage "Warum leben dort keine Kinder?" in ein gedanklich nachvollziehbares Geflecht gebracht werden wollte - wurden gar durch Stephanie Eidt-Marge's selbstgetöteten Gatten (welche?) Walddorfkinder umgebracht oder womöglich gar zuvor missbraucht, oder wie war das gleich nochmal - - auf jeden Fall konnte sich die Sozialarbeiterin Veronika Bachfischer-Suzanne, die nach ihrem unlängst abhandengekommenen Ausländer-Flüchtling Bernardo Arias Porras-Ulysses forschte, keinen Reim auf all das machen außer dass ihr plötzlich vollbewusst wurde, dass sie im Kreis der angeblicherweise Martinsgans verzehrenden sechs Hinterwäldler zufällig ihren zurechtgewürzten Ulysses zwischen den Zähnen hatte. Horror pur!!!'' schreibt Andre Sokolowski am 1. Dezember 2019 auf KULTURA-EXTRA
Jule Böwe als vor sich hin raunzende Wirtin eines Hotels im Dauerregen und ohne Gäste, Stephanie Eidt als Witwe, die zwischen Wahn, Wirklichkeit und erotischen Phantasien pendelt, und Ruth Rosenfeld als Schamanin im Fuchsfell, die passend zur abgedunkelten Bühne und zum Schauermärchen-Plot wunderbare dunkle Gesangssoli bietet, sind zwar starke Darstellerinnen.
Der Abend krankt jedoch daran, dass die Handlung sehr schleppend erzählt wird. Die angekündigte Thriller-Spannung will nicht so recht aufkommen, die meisten Sonntagabend-Fernsehkrimis haben mehr Suspense als dieses Theaterstück.
Vandalem gelingt es zwar gut, eine düstere, schwarz-romantische Atmosphäre zu erzeugen. Ihre Figuren erinneren aber tatsächlich mehr an das schlurfende Marthaler-Personal und die skurrilen Kaurismäki-Typen, wie Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung schrieb, als an die raffinierten Psychothriller von Claude Chabrol und die surreal-albtraumhaften Bildwelten von David Lynch, die Michael Wolf auf Nachtkritik als Referenzen nannte.
Ausführliche Kritik mit Bild