Zum Inhalt: »Wer bin ich? Ich muss doch schließlich auch was sein.« Stellen Sie sich vor, Sie begegnen sich selbst. Sie kehren heim, wollen eigentlich nur vom Sieg Ihres Herrn über die Athener berichten und werden von jemandem, der behauptet, Sie selbst zu sein, brüsk vor die Tür gesetzt. Stellen Sie sich weiter vor, Sie kommen nach Hause und müssen feststellen, dass Sie betrogen worden sind: Jemand hat Ihre Gestalt angenommen und die Nacht mit dem Menschen verbracht, den Sie lieben. Malen Sie sich aus, diese andere Version von Ihnen wäre eine göttliche Version Ihres Selbst und alle hielten diese für das Original und Sie selbst nur für die schlechtere Kopie. Stellen Sie sich vor, niemand wäre sich mehr sicher, wer Sie sind. Vor allem Sie selbst nicht. Die Identitätskrise wäre perfekt. Und Sie mitten drin.
Mit: Florian Anderer, Werner Eng, Annika Meier, Joachim Meyerhoff, Bastian Reiber, Carol Schuler, Axel Wandtke Musiker_innen: Ingo Günther, Taiko Saito
Regie und Bühne: Herbert Fritsch Kostüme: Victoria Behr Musik: Ingo Günther Dramaturgie: Bettina Ehrlich Licht: Erich Schneider
Der Abend ist eine durchaus witzige Nummernrevue, in der Fritsch-Stamm-Spieler*innen wie Carol Schuler als hysterische, gekränkte Cleanthis oder Florian Anderer in schönen Barocktanz-Parodien als betrogene Titelfigur Amphitryon ihr gewohntes Repertoire an Komik und Slapstick sehr souverän abspulen.
Es ist aber keine Inszenierung aus einem Guss. Der „Amphitryon“ ist eine solide, durchaus unterhaltsame Komödie, der aber der überdrehte Aberwitz und das genaue Timing der Farce „Champignol wider Willen“ fehlt und die im Gegensatz zu Fritsch Dada-Arbeiten aus Volksbühnen-Arbeiten auch recht brav an der berühmten Vorlage aus der Zeit des französischen Sonnenkönigs klebt. In den wie üblich sehr schillernden Kostümen von Victoria Behr tänzeln, gestikulieren und grimassieren sich die Spieler*innen durch eine Comic-Version des Komödienstoffes.
Die schöne Erkenntnis des Abends ist, wie selbstverständlich sich Meyerhoff , der am Burgtheater oft als Solist wie in „Die Welt im Rücken“ glänzte, sich hier in das Ensemble einfügt, das sich aus Fritschs Schaubühnen-Stammkräften und der vom Berliner Ensemble zu ihm zurückgekehrten Annika Meier zusammensetzt, die schon in Fritschs Volksbühnen-Hits wie „der die mann“ mitspielte.
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''Fritsch zeigt hier boshafte, groteske Machtspielchen, das Verhalten von Machtausübenden, Machteinbüßenden und ewigen Verlierern, die wie Sosias gänzlich an die Seite gedrängt werden. „Doch wer bin ich?“ wird für ihn nicht nur zur reinen Existenzfrage. „Ich muss doch auch jemand sein“, ist trotzige Antwort, die ihn schnell die eigene Identität für die Zugehörigkeit zum Gewinner aufgeben lässt. So ausgebootet tanzt er im wahrsten Wortsinn lieber nach der Pfeife der anderen. Meyerhoff ist da ganz zweckdienlicher Mime und fügt sich gut in die hin und her wuselnde Fritsch-Familie ein. Doch nicht nur Amphitryon und Sosias wird hier übel mitgespielt, auch Alkmene wird zum Spielball zwischen den wechselnden Gatten. Annika Meier gibt sie mit bayrisch rollendem „R“ mal in Liebesraserei mit Jupiter, mal kühl abweisend gegenüber ihrem an ihrer Treue zweifelnden echten Gatten. Auch Carol Schuler als Cleanthis buhlt um den falschen und bekeift den echten Gatten Sosias. Dazu wird übertrieben grimassiert und im Chor Musical-like „Rache“ gesungen.
Viel wird an diesem Abend in der Schaubühne gelacht. Und auch wenn die Gags zuweilen in Unterleibsnähe rutschen, geht nicht alles in die barocke Pumphose. Wer sich hier aber mehr Tiefe wünscht, ist vermutlich auf die tragikomische Fassung von Heinrich von Kleist aus, der die Identitätskrise zur philosophischen Frage erhob. Das ist die Sache von Herbert Fritsch nicht. Auch wenn sich bei aller Hampelei und Klamotte hinter dem bunten, überdrehten Possenspiel durchaus etwas Tragisches verstecken mag. So bleibt es natürlich in erster Linie ein virtuoser, stilsicherer Komödienspaß, der keine Tiefe vorgibt, aber auch nicht zum ganz großen Wurf ausholt.'' schreibt Stefan Bock am 15. Oktober 2019 auf KULTURA-EXTRA
'' Besondere Spannung lag vor dem Abend in der Luft, weil Joachim Meyerhoff nach Jahren in der Ferne nun wieder in Berlin spielt. Er ist als Sosias zu sehen, der Diener, der – durch Merkurs dunkles Zauberspiel sozusagen mit sich selbst konfrontiert – gleich zu Beginn aus der (Lebens-)Bahn gerät und unterzugehen droht. Meyerhoff als Star des Abends? Nein! Fritsch bietet keinen Budenzauber, bei dem mit der Wurst nach der Speckseite geworfen wird. Meyerhoff ist großartig, ja – und die anderen sind es auch. Sämtliche Mitwirkenden, hier seien die vorn, links und recht vor der Bühne spielenden zwei Musiker*innen nicht vergessen, finden zu einem kraftvollen Miteinander, heben durchweg gemeinsam in den siebten Himmel der Theaterkunst ab. Ein großes Vergnügen, weil das Vergnügen am Nachdenken über die Welt und die Rolle von uns Menschen in dieser Welt gestärkt wird. Was übrigens am Ende nicht zu befreiter Heiterkeit führt, sondern zu einem erschrockenen Innehalten.'' schreibt Peter [i] [/i] Claus auf rbbKultur