Pünktlich zum Einzug der AfD in den Bundestag hat das Berliner Grips-Theater ein Stück auf die Bühne gebracht, das vom »Faschismus in den Köpfen« handelt, wie Michel Foucault gesagt hätte: »Das Heimatkleid« von Kirsten Fuchs.
In der Inszenierung von Tim Egloff geht es um die Ästhetisierung rechter Politik im Alltag, das Erfolgsprinzip der Rechtsradikalen hierzulande seit Anfang der Nullerjahre. »Das Heimatkleid« richtet sich ganz praktisch an Menschen ab 16 Jahre.
Es ist ein kleines Lehrstück ohne Zeigefingerpädagogik. Aufgebaut wie ein Krimi, wird es rasant, gut verdichtet und glänzend gespielt. Fuchs setzt bei den Interessen junger Frauen an, die gerade bei den Eltern ausziehen: eine sturmfreie Wohnung, für ein Jahr von der Schwester übernommen, mit einem Hund gegen die Einsamkeit. Die junge Frau heißt hier Claire (Katja Hiller), der Schäferhund Flocke. Man sieht ihn auf einem überdimensionalem Foto (Bühne und Kostüm: Lea Kissing). Von der Schwester hat Claire außerdem noch einen Modeblog übernommen, der wohl etwas Werbegeld einspielt.
Hierfür interviewt sie die Chefin eines fiktiven Modelabels namens »Heimatkleid«. Vorher zieht sie ein Kleid an, das die Firma zur Ansicht geschickt hatte. Bei näherer Betrachtung besteht es aus einem hellblauen Tüllrock mit einer Schürze – Symbole eines ultratraditionellen Frauenbildes, für Püppchen (Tüllrock) und Hausfrau (Schürze). Zuerst gefällt Claire das Kleid, sie springt darin leicht über die Bühne, doch dann legt ihr die Chefin des Modelabels ein rotes Band um den Körper, das sie zunehmend einschnürt, an der Taille und am Hals. Auch wundert sie sich, warum vor der Firma Demonstranten stehen und »Nazis raus!« rufen. Es wird hier doch ökologisch-rücksichtsvoll produziert, ohne Ausbeutung der »Dritten Welt«, alles kommt von heimischen Firmen.
Er hetzt gegen einen anderen Nachbarn
Zu Hause verliebt sich Claire in ihren Nachbarn Tom. Der ist sportlich und freundlich, hat aber etwas gegen »Mischungen« und seien es die von Gewürzen in der Küche. Auch hetzt er gegen einen anderen Nachbarn: Al Sayed, einen syrischen Flüchtling im Hinterhaus. Katja Hiller spielt alle diese Rollen mit großer Kunst, denn die Situationen, Personen und Stimmungen wechseln extrem.
Das Stück wird in Rückblenden erzählt. Am Anfang steht Claire nachdenklich vor dem Publikum und fragt, ab wann man Verantwortung übernehmen muss. Sie erzählt ihre Geschichte wie eine Parabel, beginnend mit der Information, dass in ihrem Bad gerade ein Syrer versucht, sich das Blut aus dem Gesicht zu waschen. Es ist die Geschichte einer Eskalation. Claire findet den Hund tot im Flur und bildet sich ein, dass er durch den Türschlitz vergiftet wurde. Tom meint, Al Sayed könne es gewesen sein. Claire fühlt einen Zorn, sie könnte schlagen und töten und das sofort und unerbittlich. Sie fängt sich noch mal, als sie sich an den Brief der Schwester erinnert, in dem etwas von einem Medikament für den Hund stand, das sie aber vergessen hatte, ihm zu geben. Doch nun ist es zu spät, die Leute aus dem Haus, allen voran der nette Tom, fallen über Al Sayed her und verletzen ihn.
Ich bin kein Nazi, aber…
»Ich bin kein Nazi, aber …«, hatte die Chefin des Modelabels gesagt. »Was soll das ›aber‹?«, resümiert Claire rückblickend. »Ich fresse keine Kinder, aber …? …ich habe sie im Kühlschrank liegen? …ich lasse sie von jemand anderem töten?« Ab wann übernimmt man Verantwortung?
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