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SPIELPLAN & KARTEN

Das Nacktschnecken-Game

Bewertung und Kritik zu

DAS NACKTSCHNECKEN-GAME (16+) 
von Kirsten Fuchs
Regie: Maria Lilith Umbach 
Premiere: 28. März 2019 
Grips Theater Berlin

Zum Inhalt: Vier Jugendliche schwänzen den Sexualkundeunterricht. Auf der Schultoilette wollen zwei lieber knutschen und zwei Yum Yum Nudeln essen. Doch stattdessen finden sie sich plötzlich in einem Adventure-Game wieder, über das eine undurchsichtige Spielleiterin herrscht und die vier Heranwachsenden vor schier unlösbare Aufgaben stellt. Oder wie bringt man eine Nacktschnecke dazu sich fortzupflanzen? Doch wer alles über Sex weiß, dem wird schon was einfallen. Die Gruppe hat aber nicht nur mit den Aufgaben zu kämpfen. Es lauern noch ganz andere Gefahren: Hormone, die ihnen auf den Fersen sind und den Auftrag haben, sie davon abzubringen, das finale Level des Spiels und somit die Freiheit zu erreichen. Sie sorgen für Chaos innerhalb der Gruppe, verlangsamen den Einen, triebsteuern die Andere, machen aggressiv und melodramatisch zugleich. Die Gruppe rauft sich zusammen, und so verändern sich im Laufe des Spiels auch die Beziehungen der Jugendlichen zueinander. Sie müssen lernen, dass das alles gar nicht so leicht ist mit dem eigenen Körper, der sexuellen Vielfalt, der Scham und den verrückten Hormonen. Die tauchen vor allem immer dann auf, wenn sie am allerwenigsten zu gebrauchen sind.

Ein rasantes Adventure-Game im Reich der Pubertät.

Regie: Maria Lilith Umbach
Bühne und Kostüme: Lea Kissing
Video: Alexander Merbeth
Komposition & Sounddesign: Frieder Hepting
Dramaturgie: Tobias Diekmann
Theaterpädagogik: Wiebke Hagemeier

TRAILER

4.0 von 5 Sterne
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Das Nacktschneckengame im Grips-Theater
5 Jahre her.
Kritik

Siebte Klasse, Sexualkundeunterricht. Aber nicht für alle: Selma (Katja Hiller) und Anni (Lisa Klabunde) haben sich mit Edgar (Marius Lamprecht) und Junius (Jens Mondalski) auf die Toilette verdrückt, sie meinen, sie wüssten schon alles bzw. wollen lieber praktisch werden. Allerdings wissen sie noch nicht so genau, worauf sie Lust haben. Ihre Kenntnisse sind lückenhaft und von gesellschaftlichen Erwartungen überfrachtet. Dann, auf einmal, driften die vier ab in eine magische Welt und landen, klein wie Ameisen, im Innern einer Nacktschnecke. Die Bühne von »Das Nacktschnecken-Game« ist nun eine grüne Traumlandschaft, mit schwingenden Teilen, die ausschauen wie Nervenbahnen im Unterhautgewebe.

Die zwei Pärchen – Junius geht mit Ani, Selma mit Edgar – quälen sich durch eine klebrig wirkende Substanz, erst langsam kommen sie wieder zu Bewusstsein und ekeln sich fürchterlich. Eine Stimme aus dem Off verkündet Aufgaben. Sie sollen die Nacktschnecke von innen erforschen und sie dazu bringen, dass sie sich mit einer anderen Schnecke paart. Dann erst kämen sie frei. Selma schreit, die anderen erstarren. »Wie viele Leben haben wir?« fragt Edgar. Das Publikum lacht, die Kurve ist genommen – ein mit Symbolen aufgeladenes, gleichwohl witziges Spiel, ein Ausflug ins Unbewusste und zu den unterhalb normaler Aufklärung liegenden, wirklich relevanten Fragen zur Sexualität.

»Mädchen ekeln sich wohl weniger, weil sie selbst so viel Ekliges an sich haben?« fragt Junius Anni, die zwar entgeistert guckt, sich aber klug und selbstbewusst zu wehren versteht. Junius spricht allerdings ein für sexuelle Beziehungen zwischen Mann und Frau typisches Problem an – das des männlichen, oft angstvollen Ekels vor dem weiblichen Geschlecht. Mit all seinen Falten und der Feuchtigkeit erinnert die Vulva Männer an eine Wunde, in zahllosen Religionen gilt die Frau deshalb als unrein.

Der Mensch ekelt sich nicht nur vor Ausscheidungen und Körperöffnungen eines Fremden, sondern auch vor der Haut des anderen. Den Finger eines Fremden könnten wir nicht in den Mund nehmen, ohne uns zu ekeln, schrieb Thomas Mann. Die Liebe, so Mann, überwinde die Ekelschranke, die wir voreinander aufgebaut haben. Aber eben nicht zwingend. Viele Partner ekeln sich voreinander, vor allem in Zeiten flüchtiger Sexualkontakte. Und Jugendliche, die Begehren und Liebe noch nie erlebt haben, stellen sich die Angelegenheit häufig furchtbar eklig vor. Weshalb für ein Stück über sich erst langsam anbahnende körperliche Annäherung unter Jugendlichen die Nacktschnecke gewählt wurde, liegt also auf der Hand: Sie ist klebrig-eklig.

Wie sich die beiden Paare zurechtfinden, ihre Aufgaben zu lösen beginnen, wie sie dabei ins Gespräch kommen oder zu einem ersten Kuss, und es dabei die ganze Zeit um Aufklärung geht, man aber nie an eine wissenschaftliche Lehrveranstaltung denken muss – das hat was. Und ist der so skurrilen wie witzigen Phantasie geschuldet, mit der »Das Nacktschnecken-Game« von Regisseurin Maria Lilith Umbach inszeniert wurde, nach dem gleichnamigen Stück der Autorin und Kolumnistin Kirsten Fuchs.

Die Jungen sollen 100 verschiedene Begriffe für Geschlechtsorgane aufschreiben. Toilettenzeichnungen fallen ihnen ein, die notierten Begriffe sind sexistisch, gewaltsam, es sind gefährlich-abfällige Bemerkungen über Frauen: »Ich fick dich, bis du nicht mehr aufstehen kannst!« Angst soll durch Gewalt überwunden werden. Ekel, der die weibliche Vulva besetzt, verhindert, ihre Schönheit zu sehen.

Erklärt das Stück, weshalb Sexualität so oft mit Gewalt vermischt wird? Ich denke, ja, denn Ekel, verbunden mit erwachender Sexualität, erzeugt Angst. Angst erzeugt Abwehr, und daraus wird möglicherweise Gewalt. Die weibliche Vulva wird als ein zu durchbohrendes Etwas betrachtet, der pen*s zum Gewaltorgan, liebevolle Sexualität so bereits im Ansatz verhindert. Das alte Bild von der Sexualität als etwas Schmutzigem ist immer noch nicht überwunden.

Eine kluge symbolische, so witzige wie wichtige Reise ins Unbewusste im Gewand eines PC-Games ist dem Grips-Theater gelungen. Vielleicht erleichtert es Jungen und Mädchen (ab zwölf), besser mit Gefühlen wie Angst und Ekel umzugehen, Hemmungen abzulegen, Sexualität anders zu sehen. Damit wäre auf jeden Fall etwas gewonnen. Anja Röhl http://www.anjaroehl.de/

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