Zum Inhalt: Am Morgen ist alles wie immer: Aufwachen, Kaffeetrinken, ein Kuss für Frau und Kinder und ab mit dem Vorortzug ins Büro. Doch schon am Abend ist alles anders: Ein zweites Ich besetzt den Platz am Esstisch. Die Kleinfamilie, Einfamilienhaus, Garten mit Fichte, wird in ihren Grundfesten erschüttert, ein Spiel um Identität, Wahrnehmung und Möglichkeiten beginnt. Das Phänomen der Verdoppelung ist außerdem ansteckend, eine zweite Frau macht das Chaos perfekt – bis niemand mehr weiß, was wahr, wer was und wer wahr ist. Zudem sind die zwei anderen Ichs ungleich freier, lässiger, schlafen nackt und auch öfter miteinander, entführen in neue Welten – und an die verhasste Fichte im Vorgarten legen sie ganz einfach die Säge an, kreischend, kichernd…
Mit Elias Arens, Camill Jammal, Franziska Machens, Maike Knirsch, Tabitha Frehner, Jeremy Mockridge
Regie: Anne Lenk Bühne: Judith Oswald Kostüme: Sibylle Wallum Dramaturgie: Sonja Anders
''Anne Lenk setzt komplett auf das Künstliche des Textes, sie lässt die Schauspieler in biederen 50er-Jahre-Kostümen auftreten, wie es das Stück auch nahe legt: mit Hut, Aktentasche, Kniestrümpfen und Wolljacke. Und sie lässt ironische Komödie spielen, bei der die Darsteller sich selbst über die Schulter gucken.
Sowohl das Stück als auch der Abend sind handwerklich sehr gut und sorgfältig gearbeitet; die Regisseurin folgt Schimmelpfennigs präziser Sprachpartitur. Sie inszeniert bildreich und fantasievoll und über den kurzen 70minütigen Abend durchaus unterhaltsam – aber keineswegs verstörend. Dafür sind die Plüschtiere dann doch zu drollig und das Ehepaar zu brav. Dass die Inszenierung nicht unter die Haut gehen kann, liegt letztlich aber auch an der Vorlage. Schimmelpfennigs kontrolliert durchkonstruiertes Experiment findet mit Probanden statt, nicht mit Menschen aus Fleisch und Blut. Eine kleine Etüde, eine Fingerübung ist das zu einem bereits ausbuchstabierten Thema – kein großer Wurf also, aber ein fein kalkuliertes Gedankenspiel.'' schreibt Barbara Behrendt auf kulturradio.de
''Nur besonderes Interesse kann dieser, sich im Gegenpaar (Elias Arens und Maike Knirsch) manifestierende Biedermann/frau-Alptraum nicht erwecken. Zu banal und stereotyp sind diese Fantasien, die sich da u.a. in einem nächtlichen Ausflug in die Schwertfischbar verwirklichen, wo alle vier aufeinandertreffen, dem Laster Alkohol und Kartenspiel frönen und Frau 2 als Rote Rita einen Tanzauftritt hat. Während Mann 1 und Frau 1 in ihren unbefriedigenden Alltagstrott vom kleinen Haus mit Garten und hässlicher Fichte (Achtung! Philosophische Metapher) stecken bleiben, tollt das Doppelgängerpaar nackt über die Bühne und legt einfach die Axt an den Baum, der am Ende befreit über die geleerte Bühne gezogen wird. Traum und Realität fügen sich beim finalen Frühstück.
Was macht man mit einem derart biedermeierlichen Plot, der weder zum Philosophieren noch zur romantischen Boulevardkomödie reicht und nicht mal annähernd in Kleist`sche Amphitryon-Sphären aufzusteigen vermag? Anne Lenk versucht sich in die Situationskomik zu retten. Die DarstellerInnen wirken dabei allerdings in ihren Posen ziemlich unsicher bis ungelenk. Ein albernes Zappeln zu altbackenen Sätzen. Ein Probiertextchen für die Box, nur ist Schimmelpfennig dem Experimentieralter längst entwachsen. Der große Autor in der Krise. Seit einiger Zeit hat Roland Schimmelpfennig schon nicht mehr viel zu sagen, das aber mit kontinuierlicher Penetranz. Damit nimmt er anderen AutorInnen die Luft und den Platz ihr Talent zu beweisen. Aber vielleicht war das ja auch nur sein Doppelgänger. schreibt Stefan Bock am 14. Januar 2018 auf KULTURA-EXTRA
Der Ausgangspunkt von Roland Schimmelpfennigs Auftragswerk „Der Tag, als ich nicht ich mehr war“ ist vielversprechend: Es soll um eine Kleinfamilie, die mit ihren eigenen Doppelgängern und verdrängten Abgründen konfrontiert wird. Aus diesem vielfach variierten Stoff hätte man einiges machen können.
Wir lernen ein Paar mit zwei fast erwachsenen Kindern kennen, die bisher ein biederes Leben mit Bürojob, Chorprobe und kleinem Häuschen führten.
Leider schleppt sich diese Uraufführung in den Kammerspielen des Deutschen Theaters unter Anne Lenks Regie ohne zündende Pointen und enttäuschend matt dahin. Die interessante Grundidee verpufft weitgehend. Als Fingerübung hätte das Stück besser in die Box gepasst.
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