Ein erst 2015 aufgefundenes Stück des seinerzeit 23jährigen Schriftstellers in deutscher Erstaufführung: Dušan David Pařízek inszeniert Ödön von Horváths pessimistische Weltsicht als gleichwohl fesselnde Szenenfolge auf der Bühne der Kammerspiele des Deutschen Theaters Berlin. Das Stück spielt zwischen den beiden Weltkriegen im Jahr 1924.
Fürchtegott Lehmann (Marcel Kohler), ein verkrüppelter Hausbesitzer und Pfandleiher, hält alle Trümpfe in der Hand, um sämtliche Bewohner seiner Immobilie unter Druck setzen und gegeneinander ausspielen zu können. Er ist aber keineswegs nur ein verbittertes Ekel, das sich an den Menschen zu rächen sucht. In einer Ecke seines Wesens ist er auch ein Suchender, der sich nach einer Partnerin sehnt.
In sieben Bildern werden die Charaktere und Lebensgeschichten aus dieser mit Sarkasmen und Zynismen reich ausgestatteten Hausgemeinschaft aufgeblättert. Da ist die Hure Gilda (Franziska Machens), die ihrem Beruf mit feuerroter Perücke nachgeht und von allen anderen nur „Fräulein Lamour“ genannt wird, obwohl ihr Familienname eigentlich „Schulze“ ist. Sie beherrscht ihr Fach perfekt und beurteilt alle Vorgänge und Menschen aus dem Blickwinkel ihrer Profession. Sie wird auch die Mentorin der anfangs etwas unscheinbaren Ursula (Wiebke Mollenhauer), die sich mit Konsequenz und Raffinesse zur Gefährtin des Hausbesitzers hinaufdient.
Als stets etwas hektisch agierender, stellungsloser Musiker beklagt Klein (Elias Arens) sein Los und den Umstand, dass er die Miete für seine Dachkammer nicht bezahlen kann. Eine Kellnerin, die ihre zu servierenden Getränke lieber selbst konsumiert und anschließend infernalische Rülpser produziert, ist Lisa Hrdina, die sich später noch als irritierter Backfisch mit etwas konfusen Lebensplänen präsentiert, dem man geraten hat, „etwas praktischer“ zu werden. Der illusionslose Wladimir (Henning Vogt) geht zum Militär, wo er erleben muss, wie der von ihm bewunderte Hauptmann getötet wird und ihn ohne geistige Lebenshilfe zurückläßt.
Das Panoptikum kulminiert im Aufeinandertreffen der beiden Brüder Fürchtegott und Kaspar Lehmann, die ihre jeweilige Lebensgeschichte aus Kindheitserlebnissen ableiten und sich instinktiv als Sparringspartner verstehen. Dabei kommt der Hausbesitzer ums Leben und entschwebt an einem Seilzug in die Höhe des Bühnenhimmels. Zurück bleibt Bruder Kaspar, der auch die nunmehr alleinstehende Witwe Ursula umarmt, sich aber bald wieder aus dem Staube macht. Auf der Szene steht am Ende die dunkle Silhouette der verlassenen Frau.
Ach ja, und wer ist „Niemand“? Vermutlich einfach Gott, ein irgendwo verschwundenes höheres Wesen, das sich der Kommunikation verweigert und das man ebensogut „Satan“ nennen könnte.
Die sorgfältig gezeichnete Reihe der Charakterbilder macht den Abend sehenswert. Viel Beifall für das gesamte Ensemble, das zum Schluß auch noch als Begleitband für einen resümierenden Song zu hören ist.
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