Zum Inhalt: Eine Insel. Endloses Wasser, Felsen, ein Dorf, ein Kloster. Es gibt keinen Strom, nur den Mond, die Sonne und tausend Augen. Es gibt den ewigen Rhythmus der Natur, ein Glaubensbuch und den Pfahl für die Ungehorsamen. Die Männer haben das Sagen und machen die Gesetze. Es ist ein geschlossenes System.
Hier wächst ein Mädchen auf, ein Findelkind ohne Herkunft, ohne Mutter und Namen. Anders als die anderen. Sie darf nicht lesen, nicht schwimmen, nicht heiraten. Sie erzählt ihr Miroloi (griechisch für „Rede über das Schicksal“) in 128 Strophen. Ein Klagelied und ein Lied über die Liebe, über den Mut aufzubegehren. Es ist die Geschichte einer Außenseiterin, die ein ganzes System in Frage stellt und bereit ist, einen hohen Preis dafür zu zahlen.
Die niederländische Regisseurin und FAUST-Preisträgerin Liesbeth Coltof erzählt diese mitreißende und poetische Emanzipationsgeschichte mit einem diversen Ensemble. Die Rollen der Hauptfiguren Alina und Yael übernehmen verschiedene Spieler:innen, denn es ist eine Erzählung vieler, die an jedem Ort und zu jeder Zeit spielen könnte.
Weit gingen die Meinungen in den Feuilletons im Sommer 2019 auseinander, als Karen Köhler ihren Debüt-Roman „Miroloi“ veröffentlichte. Die einen schwärmten von einer packenden Coming of Age-Geschichte einer jungen Frau, die auf einer dystopischen Insel gegen das Patriarchat und religiöse Fanatiker kämpft. Andere fanden, dass der Roman zu holzschnittartig auf dem feministischen Zeitgeist surfe und nur ein gut gemeintes Buch für junge Leser*innen sei.
An diese Gruppe richtet sich „Miroloi“, das Liesbeth Coltof mit einem bemerkenswert diversen Ensemble meist junger Laien (11 Kinder und Jugendliche vom Jungen DT und zwei Erwachsene) vor einem Jahr einstudiert hat. Die Bühnenfassung bleibt nah am Roman-Plot, die jungen Spieler*innen wechseln sich in den Hauptrollen kontinuierlich ab.
Die Einschüchterungen der jungen Frau, ihr Freiheitswille und das Pochen des Patriarchats auf die religiösen Vorschriften der „Qurabel“ sind von der Autorin und vom Team der Theater-Adaption ganz bewusst überzeitlich angelegt, erinnern jedoch frappierend an die aktuellen Proteste im Iran.
Auch wenn „Miroloi“ nicht an die mitreißendsten Inszenierungen des Jungen DT wie „Draufgängerinnen“ heranreicht, ist es doch ein solider Empowerment-Abend, der auf seine Zielgruppe zugeschnitten ist und ein halbes Jahr nach der Premiere im vergangenen Herbst mit dem FAUST des Deutschen Bühnenvereins für die beste Inszenierung für ein junges Publikum ausgezeichnet wurde.