Ein erneutes „Endspiel“ bringt Samuel Becketts paradoxe Tragikomödie aus dem Jahre 1960 auf die Bühne des Deutschen Theaters Berlin. Becketts Stück, 1961 in New York überaus erfolgreich uraufgeführt, hatte es merkwürdigerweise in Berlin anfangs etwas schwer. Die Spannweite zwischen auf die Spitze getriebener sarkastischer Ironie und einer endzeitlichen, objektiv von gänzlicher Hoffnungslosigkeit geprägten Grundsituation wurde von Publikum und Kritik bei der deutschen Erstaufführung 1961 in der Werkstatt des Berliner Schillertheaters mit Ratlosigkeit quittiert.
Mittlerweile ist das Empfinden für die kuriose Ambivalenz unseres täglichen Lebensgefühls vor dem Hintergrund der laufenden Zeitereignisse offenbar gewachsen. Beckett schildert den Alltag zweier Menschen, die nicht nachlassen, ihre „glücklichen Tage“ zu preisen, obwohl ihr erbärmliches Leben eigentlich aus einer Kette fataler Rückschritte bis zur gänzlichen Erstarrung besteht. Die Rigorosität dieses Konflikts zwischen Wunsch und Wirklichkeit reizt zu Analogien mit der Jetztzeit.
Christian Schwochows Neuinszenierung am Deutschen Theater Berlin kommt ohne den spektakulären Sandhaufen aus, in dem Winnie (Dagmar Manzel) zwei Akte lang versinkt. Er befreit die Szene von allen ablenkenden Begleitumständen und läßt statt dessen Winnie statisch auf einem Stuhl vor schwarz glänzender Wand sitzen und ihren Dialog mit Ehemann Willie (Jörg Pose) führen - einen Dialog, der eigentlich ein Monolog ist und in dem die kargen Momente der Kommunikation zwischen den beiden bereits die Höhepunkte des szenischen Geschehens ausmachen. Den Zuschauer erwarten anderthalb Stunden konzentrierten Zuhörens, die aber dank der faszinierenden Konzentrationsleistung von Dagmar Manzel zumindest streckenweise geradezu kurzweilig geraten. Wie sie ihren Part gliedert und akzentuiert, wie sie ihre Stimme vom Flüstern bis Schrei moduliert und dramaturgisch nutzt, ist erlebenswert.
Die prinzipielle Struktur des Zweiakters bleibt erhalten und wird sogar klar herausgearbeitet. Wenn sich der eiserne Vorhang zum ersten Akt hebt (Bühne: Anne Ehrlich), sitzt Winnie eingenickt auf ihrem Stuhl, schreckt dann hoch und beginnt ihre dahinströmende Suada, die allerdings zu Beginn in sehr verhaltenem Ton vorgetragen wird. Ihre erste Aktion ist ein ausgiebig exerziertes Zähneputzen, wonach sie dann später die Aufschrift der Zahnbürste „Voll garantierte echte reine Barch-Borsten“ zu entziffern beginnt, irgendwann auch von einer Lupe beim Dechiffrieren unterstützt. Ehemann Willie ist nur ein kümmerlicher Sparringspartner, der mit wenigen Repliken antwortet. Die Trennlinie zwischen den beiden Akten wird durch erneutes Absenken und Aufziehen des „Eisernen“ markiert. Weitere Interpunktionselemente sind Sirenensignale, die an Warnzeichen im Luftschutzkeller erinnern, sowie bebende Basstöne, als nähere sich ein bedrohliches Verhängnis. Aber nichts dergleichen geschieht - der gedachte Himmel bleibt blau, lediglich das Perpetuum mobile der tausend Nichtigkeiten rollt ab wie am Schnürchen.
Wie Dagmar Manzel da mit Hingabe und Akribie in Winnies Erinnerungskasten kramt, ist durch die Geschlossenheit der hier ausgebreiteten Alltagsphilosophie durchaus faszinierend. Winnie spult auch nicht einfach ihren Text ab, sondern inszeniert ihn als Interaktion mit dem Publikum. Zahllose Erinnerungen tauchen überraschend aus den Tiefen ihres Gedächtnisses auf, ohne dass wehmütige, nostalgische Gefühle die Oberhand gewinnen. So schmerzlich diese Reminiszenzen sein könnten, Winnie gewinnt der Erinnerung stets etwas Positives ab und bewahrt sich auf diese weise instinktiv vor dem Versinken in einer Flut von Klagen. Obwohl sie am Ende nahezu erstarrt in unbeweglicher Pose verharrt, nähert sich ihr Gatte auf allen Vieren mit devoter Geste, wie um Verzeihung bittend, und Winnie haucht ein rührendes Dokument verflossener Herrlichkeit, das Couplet „Lippen schweigen, s flüstern Geigen“ aus Léhars „Lustiger Witwe“.
Viel Applaus für bemerkenswerte schauspielerische Leistungen, in den auch das Regieteam einbezogen wird.
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