Zum Inhalt: Jedes Jahr veröffentlicht der Deutsche Bühnenverein eine Statistik, die u. a. Zuschauerzahlen und Inszenierungen einzelner Autor:innen misst. Immer auf Platz eins, sowohl bei der Anzahl der Inszenierungen als auch bei der Zahl der Zuschauer:innen: William Shakespeare. Damit muss endlich Schluss sein, findet seine Schwester, Judith Shakespeare. Sie ist jung, hat etwas zu sagen und will endlich als Autorin aus dem Schatten ihres Bruders treten. Trickreich verschafft sie sich Zugang zum Theaterdirektor und präsentiert ihm ihre Idee: Ein Theaterstück über den europäischen Urwald will sie schreiben, ein Paradies, in dem das Organische wachsen und vergehen darf.
Frauen müssen gefördert werden, findet der Intendant, und denkt sich: Wenn wir nur ihren Nachnamen aufs Plakat schreiben, merkt es vielleicht niemand und der Erfolg ist vorprogrammiert. Sein Auftrag an Judith lautet: Schreib was über Gewalt, Mädchen, damit kennt Ihr Frauen Euch doch aus! Unter Protest setzt sich die Autorin ans Werk und ringt dem Papier einen Text ab, der sowohl mit ihren eigenen Gewalterfahrungen zu tun hat als auch damit, dass Vergewaltigung eine Säule der abendländischen Kultur ist: Lukrezia, Leda, Kallisto, Lavinia, Philomena, Arethusa, Gretchen – überall vergewaltigte Frauen.
Regie: Christina Tscharyiski Bühne: Sarah Sassen Kostüme: Jenny Schleif Choreinstudierung: Almuth Hattwich Dramaturgie: Karla Mäder
''Maximiliane Haß spielt jene Schwester des großen und berühmten elisabethanischen Dichters, die darüber klagt, ihre Stücke mit Rollen voller Welt nicht mit jener teilen zu können, da sie von den Theaterdirektoren einfach übersehen und nicht für voll genommen wird. Um einen Stückauftrag zu bekommen, muss sie sich dem Intendantenwillen beugen, ungewollt Kompromisse eingehen und anstatt ein Stück über den Wald eines über Vergewaltigung, was ja ein Frauenthema ist, schreiben. Die Frau im Theater mal wieder als Opfer im doppelten Sinn. Das ist als Thema sicher richtig und wichtig, aber als reines Thesenstück auch etwas zu plakativ geraten.
Die Regie versucht hier mit viel Ironie hinterherzuinszenieren. Bäume aus Pappmaché werden über die Bühne (Sarah Sassen) geschoben, Der Chor in elisabethanischen Fantasiekostümen (Jenny Schleif) schraubt an einer kleinen Bühne herum und eine riesige, Lorbeer bekränzte Vagina schwebt vom Schnürboden. „¡Hasta la vulva!“ Als Nebenhandlung vergeht sich Bruder Shakespeare noch an einer Schauspielerin, was zu einer Diskussion mit der Schwester darüber führt, was alles als sexuelle Gewalt gilt. Am Ende tritt die Dramaturgin auf die Bühne und berichtet von einem (fiktiven) Bekennerschreiben Shakespeares als Vergewaltiger auf der Plattform Nachkritik. Darin fordert er auch auf, seine Stücke zu canceln. Mal vom klischeehaften Text abgesehen, müssen Theater und Autorin, die das als echte Utopie verkaufen wollen, wohl tatsächlich etwas an Aufmerksamkeitsverlust leiden.' schreibt Stefan Bock am 19. Juni 2022 auf KULTURA-EXTRA
Zu einfach macht es auch Christina Tscharyiski mit ihrer Inszenierung von Paula Thieleckes „Judith Shakespeare – Rape and Revenge“: die österreichische Regisseurin, die bereits mehrfach auf der kleinen Bühne des Berliner Ensembles inszenierte, liefert anderthalb Stunden Frontal-Unterricht in aktuellen feministischen Diskursen. Die Grazer Produktion lässt die fiktive Schwester von Judith Shakespeare (Maximilane Haß) auf einen siebenköpfigen Chor treffen: mal verkörpert dieser Chor den berühmten Bruder, der hier als überschätzter Liebling seiner Mentoren gezeichnet wird, mal die Theater-Pförtnerin Röschen*, mit der Judith eine lesbische Affäre eingeht, und schließlich den Intendanten Juri Stein, der als Karikatur eines „alten weißen Mannes“ gezeichnet wird, der sich im Glanz seiner Patriarchen-Macht sonnt.
Eindimensional, stellenweise witzig und oft zu platt ist diese Inszenierung, die vor allem von den jungen Zuschauerinnen als Empowerment bejubelt wird, aber zu selten über Schlagworte und Klischees aus den aktuellen Diskursen in Theaterblase und Gesellschaft hinauskommt und ihre Botschaft oft in ordinärer In-your-Face-Sprache rausbrüllt. Nach 95 Minuten fragt man sich, ob der Text nur wegen seiner gutgemeinten feministischen Geradlinigkeit eingeladen wurde. Lea Goebel, Dramaturgin am Schauspiel Köln, verteidigte den Text, der wesentlich vielschichtiger sei als die Inszenierung.
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