Zum Inhalt: Es ist die Rückkehr des norwegischen Dramatikers und Ibsen-Preisträgers Jon Fosse aufs Theater. Mit seinen minimalistischen, beschwörenden, um das Unsagbare kreisenden Texten prägte er bis in die 10er Jahre dieses Jahrtausends eine ganze Stilrichtung. Dann wandte er sich der Prosa zu. Kein Drama mehr, nirgends. Mit seinem neuesten Text Starker Wind begibt sich Fosse nun nach langem Theaterschweigen wieder auf eine Spurensuche nach seinen Wurzeln, doch keineswegs auf altbekannte Fährten. Seinen Text bezeichnet er als "Szenisches Gedicht". Die Stimmen, die er in den Raum stellt, verhandeln – fast zwangsläufig, aber auch tragikomisch – die Geschichte einer Rückkehr, der alle Gewissheiten und Koordinaten entgleiten. Ein Mann, der lange Zeit auf Reisen war, sieht aus dem Fenster der Wohnung, in dem er mit seiner Frau lebt. Aber ist es noch dasselbe Fenster, noch dieselbe Wohnung und dieselbe Welt? Wie lange war er weg? Und hat nicht längst ein anderer, ein jüngerer Mann seinen Platz eingenommen. Ist das Leben, in das er zurückzukehren meint, noch sein Leben. Hat er darin noch einen Ort, eine Zeit, eine Gegenwart? Oder ist er Vergangenheit und nur noch der Zuschauer seines eigenen Verschwindens...
Mit Maren Eggert, Bernd Moss, Max Simonischek
Regie: Jossi Wieler Bühne & Kostüme: Teresa Vergho Musik: Michael Verhovec Dramaturgie: John von Düffel
''Wir folgen den Gedankengängen jenes Mannes, der nach langer Zeit wieder nach Hause kommt, in seiner Wohnung aber seine Frau mit einem anderen Mann sieht, sich nicht mehr sicher ist, ob es seine Wohnung ist, aber schon sicher, dass er die Frau noch liebt und wieder dort mit ihr leben will. Moss sitzt dabei in einer der Reihen des Saals, während sich nach und nach Eggert und Simonischek zu ihm gesellen. Das geht eine Weile hin und her. Der junge Mann bietet dem älteren sogar an, ihm und der Frau beim Sex zuzusehen oder sogar mit einzuziehen, was weder der Mann noch die Frau wollen.
An der Kletterwand wird zwischendurch etwas geturnt und geklammert, während der Mann weiter außen vor bleibt, sich an früher erinnert und seiner Frau ins Gewissen redet. Etwas unmotiviert bemascht sich das Paar dann noch mit grüner Farbe vor grüner Wand. Dass das Ganze nicht in echt, sondern nur im Gehirn des Mannes abläuft, kann man sich denken. Da der Mann vor dem offenen Fenster, das ziemlich weit oben liegt, steht und von der „klaren, dicken Luft“ da draußen spricht, ist es nicht weiter verwunderlich, dass er dann irgendwann auch rausspringt. Zumindest liegt Moss am Ende plötzlich oben, über den Köpfen des Publikums auf den Gitterrosten des Schnürbodens. Kein Ende mit Schrecken, aber irgendwie doch ein erlösendes. Ein Theaterstück ist das jedenfalls nicht. Fosse selbst nennt es auch „szenisches Gedicht“. Der Wind pfeift seine Lieder, dann legt er sich wieder.'' schreibt Stefan Bock am 23. November 2021 auf KULTURA-EXTRA
''Vieles an Fosses Schreiben ist unverändert: die Reduktion auf wenige, glasklare Worte, die sich rhythmisch wiederholen, die dröhnende Stille dazwischen. Auch der Symbolismus, der den Boden wanken lässt und die Grenzen zwischen Traum und Realität verwischt: ein Fenster, das für die Sicht auf die Welt steht – aus dem man sich aber tatsächlich in den Tod stürzen kann. Eine kleinere Wohnung, die die schrumpfende Daseinsberechtigung symbolisiert – aus der man aber tatsächlich hinausgeworfen werden kann. Doch Fosse scheint sich nach seiner langen Theaterpause immer weiter gen Stillstand zu schreiben. Noch handlungsärmer als früher wirkt dieses sehr eindimensionale Selbstgespräch, das allein die Perspektive des betrogenen Mannes beleuchtet. Dass seine Frau ihn rauswirft, kann nur ein Fehler sein. Auch das ist leider ein Charakteristikum von Fosses Schreiben, ob in der Prosa oder im Drama: Die Frau weiß oft nicht, was sie sich tief im Inneren wünscht, und muss vom Mann zu ihrem Glück gezwungen werden.
Doch auch wenn man über das vorsintflutliche Frauenbild hinwegsieht: Die Unbehaustheit, die existenzielle Einsamkeit des Menschen, der finstere Schlund, der sich beim Lesen von Fosse-Texten immer wieder auftut, ist aus diesem Stück heraus kaum auf die Bühne übertragbar. Jossi Wieler treibt den Text ins Grotesk-Surreale, unterlegt ihn mit einem unheimlichen Rauschen des Windes und findet mitunter eindrückliche Bilder. Letztlich ist dieses "szenische Gedicht" aber so sehr im lyrischen Stillstand festgefroren, dass es auf der Bühne wie eine verrenkte Kunstanstrengung wirkt. Oder ist die Zeit für diese Art des philosophischen Theaters aus männlichem Blick schlicht vorbei? Es wäre schade, denn Fosses Stimme ist bei allem Anachronismus noch immer eine singuläre in der europäischen Theaterlandschaft.'' schreibt Barbara Behrendt auf rbbKultur