Zum Inhalt: Orgon gehört der ganze Laden. Und in seinem Sonnenlicht tanzen sie alle: seine Frau Elmire, seine beiden Kinder Damis und Mariane, Schwager Cléante, seine Vatermutter Herr Frau Pernelle sowie Zofe Dorine. Alles okay soweit. Bis Orgon, genannt Orgi, in eine Krise gerät, sein okayes Leben reflektiert und sich bewusst wird, dass er nichts und niemandem nahe kommt, dass er zu Dingen und Menschen stets in einem Abstand steht: "Man trifft sich mit allem in der Mitte." So sehr er diese Gemitteltheit seines Lebenswandels schätzt, so sehr spürt er auch einen elementaren Mangel in dieser Welt, an deren Rändern es beängstigend zu flackern beginnt. Orgon sehnt sich nach Veränderung: "Gerne würde ich irgendetwas greifen oder ergriffen sein." Eine neue Welt, in der die ganze Pracht zu entdecken und die volle Ladung spürbar ist, wo man nicht bloß existiert, sondern an etwas anderes glauben kann – das wäre es! Denn: "So, wie es ist, so reicht es ja wohl nicht!" Da kommt ihm Heilsbringer Tartuffe, genannt Tüffi, wie gerufen und Orgi fasst den Plan, sich und seine soziale Bezugsgruppe aus dem Okay-Reich ins Tüffi-Reich zu überführen. In Tüffis Sonnendschungel geht es um Gemeinschaft, Liebe, work, inneren Frieden, Übergeschlechtlichkeit und natürlich Ganzheitlichkeit. Im Tüffi-Tempel musst du wollen und fühlen, du musst frei sein und dich ausstülpen, du musst einfach da und komplett drin sein. Direkte Aktion! Take a deep breath!
Mit: Regine Zimmermann, Felix Goeser, Natali Seelig, Tamer Tahan, Kotbong Yang, Moritz Grove, Linn Reusse, Božidar Kocevski, Carolina Bigge
Regie: Jan Bosse Bühne: Stéphane Laimé Kostüme: Kathrin Plath Musik, Komposition & Sounddesign: Carolina Bigge, Arno Kraehahn Licht: Marco Scherle Dramaturgie: David Heiligers
''Jan Bosses trashig-zotige Inszenierung beginnt mit schrill-ausladenden Kostümen und einer illustren Gemeinschaft, die sich um einen reichen, zu Anfang noch abwesenden Mäzen versammelt. In künstlich in die Länge gezogenen Dialogen zanken sich die Figuren affektiert und albern über Nichtigkeiten. Man denkt an mögliche Huldigungen des Sonnenkönigs Ludwig XIV., der stets im Zentrum seines Hofstaats stand. Die Hofgesellschaft ist in leichter Aufregung. Denn wir erfahren von Pernelle (Regine Zimmermann), dass Orgon seine ungeteilte Aufmerksamkeit einer „Figur“ schenkt, die er neu in die Gemeinschaft aufnahm: Tartuffe. Je mehr sich die Gruppe auf der Bühne des Vorplatzes brüskiert, desto anzüglichere Posen macht dieser zunächst unbeteiligt schweigende Günstling (Božidar Kocevski) am weit geöffneten Fenster eines Seitenflügels. Die Aufmerksamkeit des Publikums ist ihm sicher, denn er ist nur mit einem Slip bekleidet. (...)
Die Dialoge, die sich auch um den G-Punkt drehen, dehnen sich wie Gummi. Doch auch, wenn Linn Reuse als Dorine über Gutturalgeräusche klagt und das Themenspektrum auf Nasenhaarextensions bringt, wird die Nonsense-Kommunikation auf mögliche Verknotungen dieser Extensions und damit einhergehender Paar-Zusammenführungen zurückgelenkt. Sprachfiguren wie „Kontextualisieren“ verbrauchen sich, werden nahezu ausgeblutet, was wohl so beabsichtigt, aber für das Publikum nun mal ermüdend ist. Insbesondere die bedächtigen Monologe am Ende geraten arg lang. Sie schaffen es dann auch nicht mehr, das Geschehen auf eine höhere Bedeutungsebene zu bringen. Wäre dies überhaupt beabsichtigt gewesen? Trotz guter Darstellerleistungen gerät die Vorführung so allmählich zur Kleinkunst-Comedy, deren Stil sich zu schnell verbraucht. Was hätte Max Reinhard dazu gesagt, dessen Büste unzerschlagen auf die Inszenierung blickte?'' schreibt Ansgar Skoda am 26. August 2021 auf KULTURA-EXTRA
Claudia Bauers Basler „Tartuffe oder Das Schwein der Weisen“ ist vom Theatertreffen 2019 in schlechter Erinnerung und war bemerkenswert banal. Sehr albern und zäh schleppten sich die Kalauer und Loops aus PeterLichts Molière-Überschreibung dahin. Als breitgewaltzte Farce ohne Tempo funktionierte der Text überhaupt nicht.
Jan Bosse und das DT holen aus dem flachen Text das Beste heraus. Einen wesentlichen Schlüssel zum Erfolg der Open Air-Sommerkomödie hat André Mumot in seiner Fazit-Radio-Kritik benannt: wir erleben hier keine Karikaturen und Schießbudenfiguren, sondern sympathisches Komödien-Personal. Regisseur Jan Bosse präsentiert die Molière-Version mit Witz und wahrt die Balance. Er drückt nicht zu sehr auf die Tube und meidet den Klamauk. Die endlos ermüdenden „Geil/Ungeil“-Wortschleifen aus der Vorlage haben Dramaturg David Heiligers und Bosse auf ein vernünftiges Maß zurechtgestutzt.
Dass der Abend funktioniert, ist aber natürlich vor allem dem tollen Komödiant*innen-Ensemble zu verdanken: in den Hauptrollen glänzen Božidar Kocevski als grunzender, sexsüchtiger Schamane in einer Rolle, die ihm wie auf den Leib geschrieben scheint, Regine Zimmermann als Großmuttter/Herr Frau Pernelle auf Kinderfahrrad und Natali Seelig als Gattin Elmire im Kontextualisierungs-Rumba-Slapstik mit Tüffi.
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