Am 13. September hatte das von Dürrenmatt in „Play Strindberg“ verwandelte Strindberg´sche Ehedrama „Totentanz“ (1901 geschrieben, 1912 Durchbruch durch Max Reinhards Inszenierung im Deutschen Theater in Strindbergs Todesjahr) im gleichen Haus, heute DT Berlin, in einer Spitzenbesetzung Premiere. Ulrich Matthes und Sophie Rois geben dabei ihre Figuren sehr überzeugend und entsprechen dem Stück in der Dürrenmattschen Verkürzung und Verknappung sehr gut. Beide bringen genau die besondere Art von Übertreibung in ihr Spiel, die das Ganze aus der sentimental-düsteren Ebene des Strindberg-Dramas herausführt und mit dem minimalen Witz auflädt, der für den V-Effekt der Groteske sorgt, beide erreichen mit einer gewissen lakonischen Kälte, die sie ihren Figuren beifügen, dafür, dass der Hass zwischen ihnen emotional etwas abgeschwächt zu einem Stück Normalität wird, und damit gesellschaftliche Ehekritik allgemein ausdrückt und ins Heute transportiert. Dadurch wird das Drama aushaltbar, analysierbar und witzig. Dazu kommt die geniale Idee, es als szenische Lesung zu konzipieren, etwas Distanziertes, Steifes kommt so in die Dialoge, die jeweils nur anklagend, mit Blick ins Publikum, abgelesen werden, das unterstreicht den Charakter der Kälte und der Entfremdung zwischen den Paaren. Es passt sehr zu dem typischen Verhalten von Ehe-Verzankten, sich Schützenhilfe vor Publikum zu holen und beugt gleichzeitig dem Eindruck eines hysterischen Ehedramas vor. Dermaßen „bereinigt“ sind die Hass-Dialoge zwischen den Ehepartnern von unglaublich treffender Schärfe. Ganz im Sinne Brechts ist es Dürrenmatt damit gelungen, stärker zum Nachdenken anzuregen als zum nachfühlen. Die Protagonisten werden jeweils mit Musik verbunden, Edgar mit dem Einzugsmarsch der Bojaren von 1896 (von Johan Halvorsens) und Alice mit Solveigs Lied aus Peer Gynt von Edward Grieg. Die beiden hassen jeweils die Lieblingsmusik des anderen und machen sich mehrfach über die Musikmarotte des anderen lustig, die Kostüme nehmen diesen Musikcharakter ironisierend auf, so marschiert Edgar kränkelnd und stolpernd zunächst noch im langen Militärmantel über die Bühne, sinkt dann aber zurück in den Sessel, wo er Schlaganfälle simuliert und Alice sitzt steif da im übertriebenen Puffärmelkostüm, das an ein giftiges Insekt erinnert.
Die Schauspieler sind großartig und treten komplett hinter ihre Figuren zurück, der Inhalt tritt glasklar in seiner Bedeutung vor die Bühne, der Zuschauer fühlt sich erkannt, gemeint und erschüttert über die Brutalität, die Menschen einander mit Worten antun können. Das Erschüttern geschieht durch Lachen, das einem im Halse stecken bleibt. Er erinnert sich an eigene Erlebnisse im Freundeskreis, in der Familie, alles stimmt hier, so ist sie, die Realität in vielen Ehen und Beziehungen. Aber eben auch witzig, sie müssten nur auseinander gehen, aber genau das können sie eben nicht.
Sie verletzen sich gern gegenseitig, es ist ein Spiel. Aber nicht ihre Umgebung, diese kann darüber schmunzeln, das Düster-Bedrohliche des Strindberg-Stückes ist nüchterner Helligkeit gewichen.
Hass wird zum Spiel, das aus der Langeweile kommt, sie aber auch wieder erneut herstellt. Hass (Alice: Ich hasse ihn, weil er nicht schon gestorben war, als ich geboren wurde) wird menschenkonstruiert begriffen. Hass wird als Ersatz für Leidenschaft und körperliche Nähe praktiziert. Hass wird banal, und damit als undämonisch und vermeidbar deutlich. Der Kampf der Geschlechter, um den Strindbergs ganzes Werk kreist, wird hier zu einer nüchternen Feststellung von Realität zweier in Sinnentleerung und alten Traditionen verstrickten Menschen, die man aufbrechen könnte. Als sich der Militärmantel um den plötzlich doch ernsthaft vom Schlag getroffenen Edgar zu lösen beginnt, bricht damit auch sein Korsett auf und so kann auch Alice ihr Kostüm langsam fahren lassen und sich ihm in fremdartig neuer Fürsorge erstmalig ohne Hass zuwenden.
Liebe erst durch die Krise? Oder ist die Fürsorge der Alice am Ende eine neue Art von Gewalt?
Das Stück ist eine großartige Umsetzung des Dürrenmatt´schen Kammerspiels nach Strindberg und passt in die heutige Zeit der Corona-bedingten Todesbedrohung und Isolation der älteren Menschen: In den isolierten Keimzellen des Hasses, den Familien, steigt die Tendenz zu häuslicher Gewalt in den Zeiten des Lockdowns steil an.
Anja Röhl
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