Kritik
Er war ein überaus produktiver Komödienschreiber, der französische Autor Eugène Marin Labiche, aus dessen Feder unter anderem auch „Das Sparschwein“ in der Botho-Strauß-Übersetzung von 1973 dem Berliner Theaterpublikum noch in guter Erinnerung ist. Seine „Affäre Rue de Lourcine“ stammt aus dem Jahre 1857 und speist sich eigentlich aus einer ganz simplen Kernidee, deren Wirkungen sich auf wundersam bühnenwirksame Weise erweitern und steigern.
Was die Regisseurin Karin Henkel nun aus dieser Vorlage herausholt, ist in hohem Maße ergötzlich und unterhaltsam, und die Bühne mit drei Kreissegmenten auf einer Drehbühne, die den Ort der Handlung aus verschiedenen Perspektiven zeigt (Bühne: Henrike Engel), ist ihr dabei eine adäquate Unterstützung. Noch während sich der Zuschauerraum füllt, betreibt ein achtköpfiges Putzgeschwader in aseptischer Montur eine akribische Tatortreinigung der gesamten Vorderbühne mit Sprühspray und Kameradokumentation.
Oscar Lenglumé (Michael Goldberg) ist böse bezecht vom Klassentreffen mit den Ehemaligen heimgekehrt. Nun quält er sich, nach verwunderter Mahnung vom Stubenmädchen Justine (Wiebke Mollenhauer) und von der Ehefrau Norine (pointiert präzise: Anita Vulesica) endlich aus seinem Bett, rutscht die dort angesetzte Rampe herunter und präsentiert in einem ersten Monolog seine Erinnerungslücken und katertypischen Malaisen. Später stellt sich heraus, dass eine zweite Person namens Mistingue (Felix Goeser) auf dem selben Lager übernachtet hat und nur mit größter Mühe in den Tag hineinfindet. Was die beiden da an fürchterlichen Alkoholfolgen vorführen, würde jeder Entziehungsklinik als abschreckendes Beispiel dienen können. Zu den Nachwirkungen des genußreichen Abends gehört auch ein Flatulissimum vom Feinsten, worüber sich das animierte Publikum kringelt. Am schlimmsten ist aber, dass - ausgelöst von einer Zeitungsanzeige - in den beiden Klassenkameraden der Verdacht aufkeimt, sie könnten in ihrer vernebelten Rage ein junges Mädchen getötet haben. Jetzt wird diese fatale Möglichkeit mit wuchernder Fantasie ausgeschmückt, und beide sehen sich schon als ertappte Mörder, die nun natürlich auch alle Mitwisser und Belastungszeugen aus dem Wege räumen müssen. Diese haarsträubende Entwicklung der Geschichte wird nun hingebungsvoll verfolgt und ausgeschmückt.
Indes: im selben Maße, wie die Folgen des Alkoholexzesses nachlassen, drängt sich auch wieder das banale, reale Leben nach vorn, und die ausufernden Blähungen der Imagination erweisen sich - zum Glück - als vorübergehende, vom schlechten Gewissen induzierte Schreckbilder. Der Sohn (Camill Jammal) präsentiert einen schmissigen Finalsong - das war’s.
Lebhafter Beifall vom Publikum und eine Rose für die Darsteller - schliesslich war es die (vorerst ?) letzte Vorstellung dieser Erfolgsproduktion.
http://roedigeronline.de