Kritik
Ein Stück über den amerikanischen Traum von Macht und Größe, von Glück und erfülltem Leben und der immerwährenden „pursuit of happiness“ ist dieses Bühnenwerk vom Amerikaner Tennessee Williams aus dem Jahre 1944. Es lebt von der Spannung zwischen den Aufschwüngen und immer erneuten Anläufen im Irrealen und den abgrundtiefen Depressionen bei der Konfrontation mit der Realität.
Die kleine, armselige Welt einer Restfamilie. Der Vater ist vor Jahren verschwunden und existiert nur noch als Erinnerungsbild an der Wand, dem sich die Hinterbliebenen immer kurz vor dem Essen als eine Art Tischgebet zuwenden. Mutter Amanda Wingfield (Anja Schneider) ist zwar die älteste der drei Hauptpersonen, aber sie wähnt sich noch in der Blüte ihrer Jahre und sucht ihre beiden Kinder Laura (Linn Reusse) und Tom (Marcel Kohler) in pausenlosen Motivationsappellen auf den Weg zu einem erfolgreichen Leben zu bringen. Laura ist behindert und eher schüchtern introvertiert, beschäftigt sich mit einer Sammlung zerbrechlicher Glastiere sowie zwei prächtigen Edelhühnern und hat keine Kommunikation mit der Außenwelt. Ihr Bruder Tom ist ein schlaksiger Fabrikarbeiter, der seine Frustration mit häufigen Kinobesuchen kompensiert. Er bringt eines Tages auf inständige Bitten der Mutter einen Arbeitskollegen zum Essen mit, Jim O’Connor (Holger Stockhaus), der sich als Bekannter aus Lauras Schulzeit entpuppt und den verkorksten Mikrokosmos der beiden Frauen mächtig aufmischt.
Regisseur Stephan Kimmich holt diese Sammlung eher depressiv gestimmter Traumsequenzen entschlossen in die Jetztzeit und peppt sie mit bühnenwirksamen Akzenten auf. In einem Bühnenbild aus grünlich schimmernden Holzwänden mit amerikanischer Klimatechnik(Bühne: Katja Haß) weist er Laura eine Arbeitsecke mit Nähmaschinen zu, während Tom sich gelegentlich im Obergeschoß verkriecht und Mutter Amanda ab und zu in der Küche verschwindet. Laura legt häufig Schallplatten auf, was wohl auch als eine Flucht in die Illusion zu deuten ist. Statt der eleganten Swingmusik der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hört man jüngere Popmusik, die sich zu einer ganzen Playlist formiert.
Nach der Pause fiebern die beiden Frauen dem Besuch von Jim entgegen. Als erste steigert sich Laura in einem leichten Frühlingskleid zum Sound von Donna Summers’ „I feel love“ in einen ekstatischen Solotanz, der ihr begeisterten Szenenapplaus einbringt. Dann betritt Jim die Szene, vom Kollegen Tom eingeführt. Es folgt eine perfekt inszenierte Folge halb schüchterner, halb albern verspielter Annäherungsmomente, von denen zunächst Mutter Amanda wie eine Verdurstende das erotische Flair zu geniessen versucht. Als knallrot kostümiertes Teeniegirl kehrt sie aus der Küche zurück und umgarnt den Gast. Als die erotische Spannung den Höhepunkt erreicht, erlischt das Licht - die Stromrechnung war wohl nicht bezahlt. Bei Kerzenlicht kommen sich Jim und Laura näher, entdecken ihre gemeinsame Vergangenheit und lassen die ersten Hüllen fallen. Jim erwacht als erster aus dieser Träumerei: er ist ja mit Betty verlobt, die er im nächsten Jahr heiraten will. Mit tausend Entschuldigungen stiehlt er sich davon, und Tom als Erzähler träumt von einem Dauerlauf des Erfolges durch die großen Städte. Zurück bleiben die beiden Frauen, deren Los die Resignation ist.
Der Handlungsablauf gibt den Schauspielern mannigfache Gelegenheit zu bemerkenswerten Sololeistungen, die vom Publikum lebhaft bejubelt werden. An erster Stelle sind hier die herrlich verklemmten Extempores von Anja Schneider auf ihrer Suche nach spätem erotischem Reiz zu erwähnen. Aber auch Jims virtuose Solonummer für Laura, in der er eine ganze Jazzband akustisch imitiert, ist hervorzuheben. Aus Lauras Schüchternheit (bis auf ihren aufreizenden „Erotic dance“) und aus Toms Arbeiterträumen lassen sich weniger Funken schlagen. Insgesamt aber eine überzeugende Ensembleleistung, die mit anhaltendem Applaus bedacht wird.
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