Zum Inhalt: Vermutlich ist Der MenschenfeindMolières am meisten autobiographisch geprägtes Stück. Am Hof Ludwig des Vierzehnten, endgültig angekommen, klarsichtig und verführbar und einer um 21 Jahre jüngeren Frau erlegen, hat Molière den Menschenfeind in der Uraufführung selbst gespielt. Er wusste genau, dass nichts komischer ist als der Mensch im Strudel seiner Schwächen. Er durchschaute die Mechanismen des Hofes und dessen Macht-Hierarchie. Die Sitten und Regeln, die Masken und Selbstinszenierungen, die Rigidität, mit der ein konformes Verhalten gefordert und Nonkonformismus bestraft wurde – all das war dem Dichter bewusst. Auf der anderen Seite wusste er um den natürlichen Egoismus und die tiefliegende Bösartigkeit des Menschen und sah die Erfordernis eines gesellschaftlichen Vertrags. Doch wie sähe ein solcher optimalerweise aus? Wie lauteten die Regeln? Wieviel Ehrlichkeit, wieviel Diplomatie, wieviel Schein und wieviel Unbedingtheit vertrügen wir? Alceste gibt darauf eine Antwort, seine Lächerlichkeit eine andere – wo sich der Zuschauer positioniert – in seiner Zeit – ist wirklich interessant.
Mit Elias Arens, Manuel Harder, Judith Hofmann, Lisa Hrdina, Franziska Machens, Ulrich Matthes, Jeremy Mockridge, Timo Weisschnur
Regie: Anne Lenk Bühne: Florian Lösche Kostüme: Sibylle Wallum Musik: Camill Jammal Dramaturgie: Sonja Anders
Als sich Molière diese Figuren ausdachte und die Hauptrolle selbst auf den Leib schrieb, hatte er offenkundig den Hofstaat des absolutistischen Sonnenkönigs Ludwig XIV. vor Augen, dessen „Vergnügungsdirektor“ er war. Der Plot bietet zwar wenig Handlung, aber um so mehr Dialoge, die Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens für ihre Kölner Inszenierung 1983 behutsam übersetzten und dabei die Versform des Originals beibehielten.
Die Karikaturen dieser Hofschranzen und Wichtiguer sind auch Jahrhunderte später noch gutes Schauspielerfutter. Jeremy Mockridge (Acaste) und Elias Arens (Clitandre) als hyperaktives Nebenbuhler-Duo, Judith Hofmann als prüde, sittenstrenge Arsinoé und vor allem Timo Weisschnur, der in seiner Rolle des Oronte schon seit Wochen in lustigen Instagram-Storys aufging und den tumben Schönling als aufgeblasenen, von sich eingenommenen Gecken spielt, haben komödiantisches Talent und sorgen für unterhaltsame Momente.
Ein schöner Einfall ist Florian Lösches Bühnenbild aus weißen Bindfäden, zwischen denen sich die Spieler*innen immer wieder aus dem Hintergrund nach vorne hindurchlavieren müssen und die oft auch zu kleinen akrobatischen Einladungen genutzt werden. Insgesamt bleibt Anne Lenks „Menschenfeind“-Inszenierung aber sehr statisch und wird so konventionell vom Blatt gespielt, als ob sich in den vergangenen Jahrzehnten im Theater gar nichts getan hätte.
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''Ein leider recht barock anmutendes Schwatz-und Rumsteh-Theater in der recht häufig gespielten Übersetzung von Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens. Ein Strauß recht schön gereimter Bonmots, mit dem die Regisseurin allerdings nicht allzu viel anzufangen weiß, außer ihre Schauspieler hin und wieder bedeutungsvoll gucken oder gestikulieren zu lassen, wobei sie sich auch mal elastisch in die Seile hängen, aus denen besagter Vorhang besteht. Ein Gebilde, das die gummiartige Dehnbarkeit der Charaktere durchaus ganz gut beschreibt. Ansonsten dient das Bühnenbild von Florian Lösche nur für slapstickartige Aufritte und Abgänge. Man ist hier trotz dunkel gehaltener Kostüme durchaus auf Komödie aus. Mit Lichtshow und Musikeinspielungen zwischen den Szenen wird effektvoll gespielt.
Das ist dann aber eigentlich auch schon alles, was an diesem Abend erwähnenswert ist. Ansonsten erschöpft sich die vom Blatt gespielte Inszenierung in langatmigen Rededuellen über das Thema Moral und Anstand bzw. ob es nicht besser wäre, was man denkt, für sich zu behalten, und anderen nach dem Munde zu reden. Ein bisschen Klatsch, Neid und Intrige gehören auch dazu. Dem Ganzen steht Alceste (Ulrich Matthes) strikt ablehnend gegenüber. So beleidigt er den Möchtegernpoeten Oronte (Timo Weisschnur im albernen Jogginganzug) beim Vortrag eines schlechten Gedichts und lässt sich im vollen Brustton der Überzeugung auch nicht vom geduldigen Freund Philinte (Manuel Harder) von seinen rigiden Moralvorstellungen abbringen.'' schreibt Stefan Bock am 30. März 2019 auf KULTURA-EXTRA