Gleich zu Beginn des Abends ein kleiner Geniestreich der Regisseurin: Christoph Franken als Chep Campbell beginnt mit Maren Eggert in der Rolle der April Wheeler eine Szene zu spielen, in der sie gemeinsam frühstücken, allerdings vergisst Franken mehrfach seinen Text und auch Eggert spielt unter Schultheaterniveau. Irritation. Dann senkt sich der Vorhang und nachdem er sich wieder hebt, wird klar, dass dies Theater im Theater war, der aufmerksame Zuschauer hat sich vielleicht schon über die übergroßen Großbuchstaben gewundert, die das Wort SET auf der Bühne abbilden. April Wheeler ist nämlich Teil einer Amateurtheatergruppe, als gelernte Schauspielerin hat sie es leider nicht zu mehr gebracht.
Diese missratene Vorstellung bildet dann auch den Auftakt zu einem handfesten Streit mit ihrem Ehemann Frank, gespielt von Alexander Khuon, zeigt er doch, dass nicht alles Gold ist, was gegenüber den Nachbarn glänzt. Die Wheelers sind mit ihren zwei Kindern in eine idyllische Vorstadtsiedlung gezogen und heben sich dort ein wenig von den anderen Bewohnern ab. Während ihre Nachbarn nichts mehr zu hinterfragen und sich allen Lebensumständen restlos angepasst zu haben scheinen, tickt April anders, sie eröffnet Frank irgendwann, mit ihm und den Kindern nach Paris gehen zu wollen, das ihnen langersehnte Freiheiten bringen soll und Frank die Möglichkeit, nicht länger seinem unbefriedigendem Job und der Pflicht als Familienernährer nachkommen zu müssen, sich neu finden zu können. April würde, sehr emanzipatorisch, den Unterhalt für alle erwirtschaften. Insofern ist der Originalname Revolutionary Road, den Richard Yates seinem Roman im Jahr 1961 gegeben hat, zumindest für Familie Wheeler passend.
Der Titel Zeiten des Aufruhrs für Film- und Theaterfassung gibt die Stimmung allerdings auch gut wieder, denn es ist einiges unruhig, vieles brodelt unter der Oberfläche nicht nur der Wheelers, auch die Nachbarn sind nicht ohne. Kämpfen Howard und Helen Givings doch mit der Tatsache, dass ihr Sohn John in der Nervenheilanstalt gestrandet ist, nachdem er seine Eltern tätlich angegriffen hat. Dabei ist er es, der die Dinge klar sieht, der sich zu den Wheelers hingezogen fühlt, weil er in ihnen nicht diese für ihn unerträgliche Oberflächlichkeit erkennen muss. Er benennt die Dinge nahezu als einziger, so wie sie sind und macht sich dadurch auch die Wheelers zu Freunden, wenngleich auch nicht in allerletzter Konsequenz, bevor alles eskaliert. Er scheint das Gewissen aller zu sein und das tut eben weh.
Regisseurin Jette Steckel macht diese Turbulenzen auch mit ihrer bildgewaltigen Inszenierung sehr deutlich, nichts ist statisch, das Bühnenbild von Florian Lösche, welches großen Raum bekommt, verändert sich fortwährend, ja fließend. Es besteht fast nur aus den schon erwähnten Großbuchstaben, die teilweise auch so etwas wie eine Überschrift für einzelne Szenen bilden, wenn zum Zeitpunkt des Hauskaufs die Wörter HOME SWEET HOME auf der vielbenutzen Drehbühne am Zuschauer vorbeiziehen.
Die Buchstaben schaffen Räume, lösen sie aber auch schnell wieder auf, so wie nichts Bestand hat an diesem Abend, alle Grenzen scheinen aufzubrechen: Situationen wechseln schlagartig oder werden gleichzeitig gespielt, Orte gehen direkt ineinander über, wenn sich der Bürotisch mit dem Wechsel der Darsteller flugs in eine Küchenzeile verwandelt. Sogar der Gedanke Franks an Maureen, seine Geliebte, läuft quasi in Persona über die Bühne, großartig. Ebenso Dialoge über andere, die in deren Gegenwart geführt werden.
Und die Drehbühne findet auch nicht nur eine Nutzung im klassischen Sinn, Steckel lässt die Protagonisten ihrem Gegenüber gegenläufig entgegengehen, was den Abstand quasi nicht verändert, auch wenn sich die Person abmüht. Auch dies ein Bild, mit dem sie ganz bewusst arbeitet.
Selbst die Musiker, ein Terzett aus einem Pianisten, Bassisten und Trompeter bestehend, wandeln ebenfalls wie die Buchstaben über die Bühne, lösen sich zwischendurch auch auf, einzelne Musiker kommen den Schauspielern ganz nah oder umgekehrt. Überflüssig zu erwähnen, dass die Musik atonal ist.
Steckel bricht mit Sehgewohnheiten, konsequent und der Sache dienlich, Regietheater von der beeindruckenden Art. Die Zerrissenheit der Figuren wird deutlich, ihr Scheitern stellt sich wertfrei dar.
Und dann: Am Ende spielt noch einmal die Szene vom Anfang, April und Frank frühstücken miteinander und führen quasi den gleichen Dialog, nun aber in echt und mit dramatischem Ende. Dies macht die Inszenierung noch runder, als sie es ohnehin schon ist, sofern diese Formulierung hier passt.
Die Schauspieler agieren absolut authentisch, auch die Nebenrollen sind bestens besetzt, Maike Knirsch als Maureen holt sich mit ihrer offen-naiven Art einige Lacher ab.
Und das gesamte Ensemble bei der Premiere im Deutschen Theater höchst verdient einen langen Applaus.