Kritik
Am 21. Dezember brachte das Deutsche Theater Moritz Rinkes jüngstes Theaterstück zur Uraufführung, der Stoff hingegen dürfte bekannt erscheinen, Rinke orientiert sich stark an Goethes Wahlverwandtschaften, zumindest am ersten Teil.
So erzählt “Westend“ wieder die Geschichte von Eduard und Charlotte, die sich allerdings in der Jetztzeit bewegen, in diesem alten West-Berliner Stadtteil ein neues Anwesen gekauft haben, das es zu gestalten gilt. Für Eduard, den Schönheitschirurgen, ist es eine Villa mit Ost- und Westflügel, für seine Frau, einer eigentlich veritablen Sängerin, die aber gerade einen Stillstand erlebt, ein Haus, ihr ist peinlich, wie Eduard die Dinge sieht. Dies wird aber nur ein Beispiel dafür sein, wie unterschiedlich die beiden ticken, was noch deutlicher wird, als Eduards früherer Komilitone Michael, traumatisiert von seiner Arbeit als Arzt im Kosovo, und Lilly, die junge Nachbarin, aufkreuzen.
Beide zeigen, quasi unter dem Brennglas, wie es um die Ehe von Eduard und Charlotte bestellt ist, um deren Sehnsüchte, auch wenn immer wieder deutlich wird, dass die beiden aneinander festhalten wollen, trotz aller Provokationen und sind die Begierden noch so groß. Und geben sie ihnen auch nach, quasi überkreuz, Charlotte hatte sowieso schon mal was mit Michael und Eduard ist empfänglich für die unbefangene frische Ehrlichkeit, die Lilly mitbringt.
Am Ende tauchen auch noch Lillys Vater Marek mit seiner derzeitigen russisch-amerikanischen Freundin Eleonore auf, was neuen Zündstoff bietet, lehnt Lilly die häufig wechselnden Liebschaften ihres Vaters perse ab, ihre Mutter hat sich seinerzeit das Leben genommen.
Stephan Kimmig hat die oft schonungslosen Dialoge aus der Feder Rinkes trotz der drei Stunden kurzweilig auf die Bühne gebracht. Vielleicht agieren die Protagonisten manchmal ein wenig abgehoben oder losgelöst, aber das ist genau das, was den Inhalt dieses Stücks ausmacht. Dass die einzelnen Figuren viel zu viel mit sich beschäftigt sind, als dass sie sich wirklich umeinander kümmern könnten.
Den Versuch, trotzdem miteinander ins Gespräch zu kommen, zu kämpfen, sich beim jeweils anderen verständlich zu machen, meistern die sechs Schauspieler glänzend, tragen dadurch auch das Stück. Ulrich Matthes verkörpert Eduard mit gleichzeitiger Arroganz und Verletzlichkeit, Anja Schneider spielt ihre Charlotte in sich gekehrt, ohne darauf zu verzichten, ihrem Zorn Luft zu machen, Kimmig lässt sie fast permanent unruhig auf der Bühne agieren. Paul Grill zeigt seinen Michael tief verstört, Linn Reusse haucht ihrer Lilly sehr viel jugendliche Energie und Neugier, aber auch Verletzlichkeit ein und Andreas Pietschmann gibt als Marek den etwas hilflosen, unsensiblen Vater, während Birgit Unterweger seine Geliebte ungewöhnlich aufmüpfig spielt, mit passend englisch-russischem Akzent, zum Ende den Laden nochmal richtig aufmischt, alles auf den Punkt bringt.
Der inneren Leere der Figuren entspricht auch das Bühnenbild von Katja Haß, die das Geschehen in einer großen weißen Halle stattfinden lässt, mit ein paar eingebauten seitlichen Regalen, das ist aber auch schon alles und wenn mal was rumsteht, wird es von Charlotte auch schnell wieder weggeräumt.
Ach ja, die Musik spielt auch eine Rolle, es wird Haydns Schöpfung gespielt, deren Eva ja eigentlich von Charlotte gesungen werden soll, aber auch Michael Jacksons Man in the mirror, zu dem Michael abhottet, dafür Szenenapplaus einheimst. Kimmig baut noch weitere Songs ein, jede Figur bekommt ihre Musik, zu der sie tanzt, es werden beeindruckende Solo-Einlagen.
Am Ende bestechen das Stück und die gelungene Inszenierung durch die freigelegte glasklare Ehrlichkeit aller Figuren, nichts bleibt ungesagt. Und es bleibt eine Hoffnung. Beeindruckend.