Dass Sophie Rois nach der Dürreperiode der Volksbühne nunmehr im Besetzungspool des Deutschen Theaters gelandet ist ( und damit Berlin erhalten bleibt), ist ohne Zweifel eine der positiven Nachrichten aus der hauptstädtischen Theaterszene. René Polleschs „Cry Baby“ bekommt durch ihren Auftritt einen besonders hervorhebenswerten Akzent und sorgt für ausverkaufte Vorstellungen.
René Pollesch, seit Jahr und Tag ein ausgewiesener Mixperte für intelligente Textcollagen mit gelegentlichem Nonsens-Flair, greift hier ein weiteres Mal mit geübter Hand in seine angestammte Trickkiste und präsentiert eine auf vielfache Weise animierende Sammlung beziehungsreicher Fundstücke mit literaturwissenschaftlichem Reiz, Bekanntes in neuem Kontext und Eigenes in reizvoller Umgebung. Daraus wird dann ein thematisch multivalenter Reigen, der einen herrlichen Manöverplatz für Schauspieler mit einem speziellen Kick abgibt.
Das Bühnenbild von Barbara Steiner fügt dem Halbrund der beiden Ränge des DT einfach noch jeweils zwei Subszeniums-Logen hinzu, mit täuschend ähnlicher Optik in Weiss und Gold samt leuchtend roter Auskleidung. Vor dem hoch aufragenden Bühnenhintergrund hängt ein fantasievoll orientalisch dekorierter Vorhang, und inmitten der Szene ein goldfarbenes Kanapée, auf dem sich alsbald ein Chor von zwölf apart individuell gekleideten jungen Damen räkelt, von denen acht aus dem 2. Studienjahr der Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ stammen. Was der Chor tanzend, sprechend und agierend zu diesem Abend beiträgt, ist bemerkenswert und zeigt insbesondere in den Sprechchören eine verblüffend akribisch trainierte Präzision. Die Ladies können mit Musketen ebenso virtuos umgehen wie mit dem Florett, um der gelegentlich geforderten Aktivität als Exekutionskommando Nachdruck zu verleihen.
Vier Schauspieler werfen einander und dem Chor die Bälle zu. Judith Hofmann ist für den Tiefsinn der intellektualistisch aufgemotzten Monologe zuständig, Christine Groß liefert dazu den passenden Widerpart. Bernd Moss gibt aus einer der Logen blitzende Kommentare und darf später mit Sophie Rois die Klingen kreuzen.
Die thematischen Akzente entnimmt Pollesch mit routinierter Hand verschiedenen Quellen. Darunter sind Texte von Buñuel und Adorno, und seine kombinierende Fantasie macht auch vor Kleists „Prinz von Homburg“ nicht halt.
Die einzelnen Schwerpunkte werden durch Verknüpfungen mit dem Phänomen des Schlafes interpunktiert. Dem Chor fällt zunächst eine ergötzliche Deutung der Begriffe „Team“ und „Teamfähigkeit“ zu, die jedem Handbuch des Managements Ehre machen würde. Dann dürfen sich Schauspieler-Solisten mit intelligenten Ausdeutungen des Begriffes „Liebhabertheater“ auseinandersetzen, und Sophie Rois bekennt, 20 000 Francs für die Möglichkeit bezahlt zu haben, auf dieser Bühne auftreten zu dürfen.
Dem Chor gelingt eine finale Abrechnung mit Udo Lindenbergs Song vom „Sonderzug nach Pankow“.
Ja, und was ist mit Sophie Rois ? Sie hält mit souveräner Sicherheit eine Ausnahmeposition in ihrem weißen Nachthemd mit den überlangen Ärmeln, die sich so wunderbar ins Spiel integrieren lassen. Wie sie den Monolog der Klytemnästra „Ich habe keine guten Nächte“ aus Hofmannsthals „Elektra“ zugleich zitiert und parodiert, ist schon ein rechtes Kabinettstückchen. Ihre kehlig-kratzende Stimme hat gleichwohl hundert verschiedene Farben und kann ebenso gut scharf und bestimmend klingen.
Das Publikum honoriert die kurzweiligen hundert Spielminuten mit begeistertem Applaus.
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