Sie ist die ungekrönte Königin der Operetten, das 1874 in Wien uraufgeführte Johann-Strauß-Opus „Die Fledermaus“, ein besonders zu Silvester gern hervorgeholter Edelstein im Repertoire der führenden Opernhäuser der Welt, mit der unvergleichlich beschwingten, von Champagnerlaune erfüllten Musik des Walzerkönigs. An der Deutschen Oper Berlin hat jetzt Rolando Villazón das Los gezogen, diesem Traditionsjuwel eine neue Fassung zu geben. Der temperamentvolle Tenor, Regisseur und Moderator ist, so hofft man, für diese Rolle gewiß eine Besetzung, die einiges erwarten läßt.
Es ist mit Johann Strauß’ „Fledermaus“ im Grunde das gleiche Problem wie mit den Operetten von Jacques Offenbach: wenn man die unvergleichliche, hinreissend gelungene Musik dieser Komponisten für das heutige Publikum retten will, muss man ein szenisches Konzept finden, das die überlieferte Handlung etwas entstaubt, ohne dem Geist der Vorlage mehr als unvermeidlich Gewalt anzutun.
Rolando Villazón stürmt in dieser Richtung beherzt nach vorn, wie es seinem zupackenden Stil entspricht. Von Bühnenbildner Johannes Leiacker lässt er sich für den ersten Akt einen hübschen, halbrunden Salon mit schmucker Wandtapete bauen, den während der Schlußtakte der Ouvertüre der spätere Dr.Falke (Thomas Leman) betritt und, als Magier mit langen Nosferatu-Fingern den Kronleuchter und den Kamin entzündet, auf dessen Bildschirm dann später auch einmal die Fernseh-Wetterkarte als Bildstörung erscheint. Er deponiert eine Einladungskarte für Rosalinde, die Gattin des Hausherrn Gabriel von Eisenstein, zum großen Ball bei Prinz Orlowsky. Dr. Falke, der von seinem Freund Eisenstein (Thomas Blondelle) einstmals nach einem Ballbesuch im Kostüm einer Fledermaus schmählich in einem Park liegen gelassen worden war, sinnt auf Rache (weshalb das Stück ursprünglich „Die Rache der Fledermaus“ hiess) und gibt der Handlung damit den entscheidenen Startimpuls.
Vor der Szene liegt wie ein Teigfladen über zwei Stufen gebreitet eine Uhr in Salvador-Dali-Manier, an die verfliessende Zeit gemahnend. Links an der Rampe ist ein Obdachloser platziert, der mit gelegentlichen Liebesgaben oder vom Gefängnisdirektor im Hinausgehen auch mit einem Fußtritt bedacht wird. Kammerzofe Adele (Meechot Marrero) findet einen Einladungsbrief ihrer Schwester, ebenfalls für den Orlowsky-Ball. Eisenstein soll eine Arreststrafe antreten und verabschiedet sich deshalb wortreich von seiner Ehefrau Rosalinde (Annette Dasch), die sich anschliessend mit ihrem wieder aufgetauchten Gesangslehrer Alfred (Enea Scala) tröstet, einem manisch trällernden Tenor. Gefängnisdirektor Frank (Markus Brück) will hält den Galan Alfred für den erwarteten Delinquenten Eisenstein und nimmt ihn ins Gefängnis mit.
Den zweiten Akt verlegt Villazón in eine Zeitscheibe mit DDR-Touch. Den Bühnenbild-Rahmen für den großen Maskenball liefert eine etwas düstere Kaschemme, vermutlich die Vorläuferin der späteren Club-Kultur. Es wird mächtig viel Wodka getrunken, und alle Staatsbürger sind „Brüderlein und Schwesterlein“ füreinander. An der Wand ein Konterfei von Chrutschschtow, das sich dann zum Abbild Stalins wandelt. Die Uniformen eines Teils der Belegschaft sind solchen der Volksarmee nachempfunden, und Prinz Orlowsky (Angela Brower) trägt eindeutig die Uniform der sowjetischen Besatzungsmacht. Wie aus einer anderen Welt kommend schreitet Rosalinde als ungarische Gräfin die Treppe herab. Ihr Gatte Eisenstein erkennt sie nicht, ist aber von ihr restlos hingerissen. Eisenstein tritt als Marquis Renard auf, und Gefängnisdirektor Frank mutiert zum Chevalier Chagrin, was Gelegenheit zu etwas albernem Französisch-Kauderwelsch bietet. Rosalinde zelebriert zum Beweis ihrer ungarischen Herkunft die Romanze „Klänge der Heimat“ und luchst ihrem faszinierten Gatten dessen Taschenuhr ab, die sie später als Druckmittel einsetzt. Kammerkätzchen Adele ist jetzt „Olga“ und liefert eigene Kommentare zum Ballgeschehen. Villazón blendet aus dem Trubel (mit Chor, Ballett und Statisterie) in die Pause ab, um die Handlung danach mit der selben Einstellung fortzuführen.
Die wendige Drehbühne serviert anschließend die dritte Zeitscheibe: das Gefängnis ist in Wahrheit eine Orbitalstation, in der zunächst der Roboter Frosch ein paar philosophische Statements abliefert, ehe Direktor Frank heraufgebeamt wird. Nach und nach tauchen auch die übrigen Protagonisten auf, und der Advokat Dr. Blind (Jörg Schörner) denkt über die Verteidigung des Eisenstein nach. Stattdessen schlüpft der echte Eisenstein dann in die Rolle des Dr. Blind. Rosalinde erscheint, Erkennungs- und Verzeihungsszenen lösen sich ab, Adele stellt ihr Theatertalent unter Beweis. In der abschließenden Steigerung lösen sich sämtliche Verstrickungen auf, und der alles verwirrende Champagner wird als der letztlich Schuldige entlarvt. Den pompösen Schlußeffekt setzt die Fanfare aus Richard Strauss’ „Also sprach Zarathustra“ und schafft so die Verknüpfung zu Kubricks Film „2001-Odyssee im Weltraum“, auf den zuvor bereits zwei Affen und ein Steinzeitmensch als Symbol der menschlichen Evolution hingewiesen hatten.
Wie man sieht, fehlte es also nicht an belebenden Elementen für das szenische Geschehen. Dennoch hatte die Musik den Vorrang, und Donald Runnicles am Pult konnte seinem Orchester zwar nicht die himmlische Leichtigkeit der Wiener Philharmoniker entlocken, lieferte aber ein solides Abbild der Johann-Strauß-Partitur. Von den Leistungen der Solisten bleiben insbesondere die Rosalinde von Annette Dasch und die mit strahlenden Spitzentönen glänzende Adele von Meechot Marrero im Gedächtnis. Thomas Blondelle war situationsgerecht elegant und albern, und Markus Brück durfte auch die Wirkungen reichlichen Champagnergenusses glaubwürdig vorführen. Jeremy Bines hatte den Chor einmal mehr vorzüglich instruiert. Lediglich die eingeblendeten Übertitel schienen die deutschen Texte streckenweise nur bruchstückhaft zu vermitteln, weshalb man in der durchgehend abgebildeten englischen Version Zuflucht suchen mußte.
Am Schluß viel Beifall für das gesamte Ensemble. Lediglich das Regieteam mit Rolando Villazón an der Spitze kassierte deutliche Buhrufe, die allerdings den sonst oftmals wütenden Unterton vermissen ließen, zumal sie der Regisseur mit der ihm eigenen unverbrüchlichen Fröhlichkeit quittierte.
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