Richard Wagners Libretto zum „Fliegenden Holländer“ nimmt die Sage vom niederländischen Kapitän Bernard Fokke auf, der nach einem Streit mit Gott und den Naturkräften dazu verdammt wurde, auf ewig mit seinem Geisterschiff (schwarzer Mast und blutrote Segel) auf den Weltmeeren zu kreuzen. Wagner verarbeitete hier Eindrücke von eigener stürmischer Seereise und fügte der Holländer-Erzählung von Heinrich Heine die Figur des Erik hinzu, des realen Geliebten der weiblichen Hauptfigur Senta, die sich zwischen ihm und der geheimnisvoll-romantischen Figur des Holländers hin- und hergerissen fühlt. Wagners lebenslang verfolgtes Motiv der Erlösung durch eine liebende Frau steht hier erstmals im Mittelpunkt. Das Werk wurde 1843 am Königlichen Hoftheater in Dresden uraufgeführt und 1860 vom Komponisten überarbeitet, wobei die Ouvertüre und der Schluß verändert wurden.
Christian Spucks Neuinszenierung an der Deutschen Oper Berlin verzichtet auf verlockende Umdeutungen der alten Fabel. Kein gesellschaftspolitischer Nachhilfeunterricht im Börsensaal, kaum eine Kritik an Vater Dalands offenkundiger Neigung, aus der Verheiratung seiner Tochter Senta goldglänzendes Kapital zu schlagen. Stattdessen liegt der Akzent von Anfang an auf dem tragischen Schicksal des jungen Jägers Erik und Sentas heilloser Zerrissenheit zwischen dem Treueschwur, den sie einst Erik gegeben hatte, und der träumerischen Begeisterung, mit der sie nun dem finsteren Holländer die Treue bis in den Tod gelobt. Folgerichtig beherrschen dunkle Farbtöne und dämonische Erscheinungen das Bühnenbild von Rufus Didwiszus, in dem das Motiv des Meeres mit einer Wasserzeile im Hintergrund angedeutet ist und verschiedene Schiffsmodelle die Assoziation mit der Seefahrt herstellen. Die Mannschaft des Holländerschiffs ist mit dem Auftritt vermummter Untoter immer dann präsent, wenn das Holländer-Ambiente gefordert ist. Die Verwandlung der anfänglichen Küstenszenerie in die Spinnstube des zweiten Aufzugs erfolgt durch das Aufziehen eines Zeltdachs aus einem verschnürten Textilpaket, und am Ende suggerieren große Tuchbahnen tatsächlich die Segel von Dalands Schiff, dessen geisterhafter Kontrapunkt im Bühnenhintergrund verborgen bleibt. Insgesamt gelingt es dieser Szenerie aber überzeugend, das ständige Schwanken zwischen Fiktion und Realität zu verdeutlichen, woraus sich die Faszination der Holländer-Handlung speist. Die zusammenfassende Klammer für das Geschehen ist die ständige Präsenz des verschmähten Erik, der alles mit ansehen muss und vergeblich versucht, seine Geliebte von ihrer verhängnisvollen Entscheidung abzuhalten. Senta gibt sich hier am Ende in einer letzten Aufwallung ihres Opferwillens selbst den Tod.
Die Besetzung erfüllt an diesem Abend nahezu sämtliche Wünsche. Allen voran sind die Chöre zu nennen, von Raymond Hughes wirkungsvoll einstudiert und von der Regie aus der statischen Positur herausgeholt und in dynamischer Choreographie inszeniert. Die Wucht von Sentas leidenschaftlicher Ballade im zweiten Aufzug bläst die schwatzhaften Zuhörerinnen buchstäblich zur Seite, und im finalen Matrosenchor, der mit intensiver Dramatik entlang der Rampe gesungen wird, sorgt die akribisch genau durchdachte Personenführung für mitreissende Bewegung. Der heimliche Held dieser Aufführung ist der Erik von Thomas Blondelle, dessen heller, vom Liedgesang geschulter Tenor mit vorbildlich klarer Artikulation den Leidensweg des verschmähten romantischen Liebhabers in bewegender Weise vorführt. Die Senta von Ingela Brimberg bringt mit leidenschaftlich ausdrucksvollem Sopran die Hingabe und existentielle Identifikation mit dem Schicksal des Holländers überzeugend zum Ausdruck. Tobias Kehrers samtig getönter Bass gibt dem Seefahrer Daland Farbe und Charakter. Lediglich der Holländer von Samuel Youn bleibt bei aller Zerquältheit die tiefere dämonische Faszination schuldig, und die Stimme scheint mehrfach der physischen Belastung nicht recht gewachsen zu sein.
Fundament des gesamten musikalischen Erscheinungsbildes ist einmal mehr das Orchester der Deutschen Oper unter Leitung des Wagnerspezialisten Donald Runnicles. Ist der Einstieg anfangs noch etwas breit angelegt, gewinnt das Klangbild im Laufe des Abends an Entschiedenheit und rhythmischer Prägnanz, und auch die tänzerische Liebenswürdigkeit der Empfangsszene bei der Heimkehr Dalands gelingt hervorragend.
Ausführlicher Beifall vom Publikum, akzentuiert von ein paar vereinzelten Buh’s für das Regieteam.
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