Eine als "Tragedia" definierte Oper auf ein Libretto nach Gabriele d'Annunzio vom italienischen Musikverleger Tito Ricordi mit der Musik von Riccardo Zandonai, uraufgeführt 1914 in Turin.
Die Deutsche Oper Berlin zeigt das selten gespielte Opus in einer Neuinszenierung von Christof Loy, der bereits 2018 Erich Wolfgang Korngolds Oper "Das Wunder der Heliane" zu großem Erfolg geführt hatte. Die Titelpartie sang damals Sara Jakubiak, die nun auch die Rolle der Francesca übernommen hat. Am Pult des Orchesters der Deutschen Oper steht Carlo Rizzi.
Gabriele d'Annunzios Schauerdrama in Versen stand beim Publikum zu Beginn des 20. Jahrhunderts hoch im Kurs. Die in grellem Wechselspiel der Farben geführte Handlung verbindet Arglist und Täuschung, Liebessehnsucht und moralische Schuld mit Eifersucht und Mord. Im Mittelpunkt steht die Figur der Francesca, die selbst leidenschaftlich liebt und gleich von mehreren Männern sehr verschiedenen Charakters begehrt wird. Das dominante Spannungsfeld entsteht zwischen Francesca und dem ihr angetrauten, aber ungeliebten Giovanni (genannt Gianciotto) und seinem als "der Schöne" idealisierten Bruder Paolo, den Francesca leidenschaftlich liebt. Der Konflikt steigert sich bis zum finalen Aufeinandertreffen aller drei Brüder, das mit dem Tode sowohl von Francesca wie von ihrem Geliebten Paolo endet. Regisseur Christof Loy zeichnet mit Augenmaß und Feingefühl das überaus modern anmutende Charakterbild einer Frau, die ihrem Empfinden folgt und sich gesellschaftlichen Konventionen entzieht.
So weit der Handlungsrahmen für ein Szenario, das einem heute in jedem besseren Fernsehkrimi begegnen kann. Was aber Christof Loy bewogen haben mag, gleichwohl diese Version ans Licht zu ziehen, ist sein ausgeprägter Sinn für musikalische Schätze und für ein exzellentes Sänger/Darstellerensemble, das ihm für die Wiedererweckung zu Gebote stand.
Ausgangspunkt des Geschehens ist ein politisches Kalkül. Italien im 14. Jahrhundert: Bürgerkrieg zwischen verfeindeten Adelsfamilien. Die schöne junge, aber etwas eigenwillige Francesca aus dem Clan der Polenta (Sara Jakubiak) soll mit einem Sohn der einflussreichen Familie Malatesta verheiratet werden. Ihr Bruder Ostasio (Samuel Dale Johnson) hat dafür alles vorbereitet. Da man aber befürchtet, Francesca würde den eher unattraktiven Giovanni lo Sciancato genannt Gianciotto (Ivan Inverardi) ablehnen, lässt man im geeigneten Moment dessen ansehnlicheren Bruder Paolo il Bello (Jonathan Tetelman) auftreten, von dessen Erscheinung Francesca geblendet ist und beiläufig den Ehevertrag unterschreibt.
Der zweite Akt spielt am Tage einer Entscheidungsschlacht zwischen den Malatesta und den Paridati. Der Regie gelingt hier das Kunststück, mit Bühnennebel und aufwendigem Herumgerenne sogar ein verheerendes Schlachtgetümmel glaubwürdig zu realisieren. Francesca weiss, dass sie mit der Heirat des ungeliebten Gianciotto betrogen wurde und entschließt sich zur Rache an den intriganten Brüdern. Paolo und Francesca erkennen ihre tiefe gegenseitige Liebe.
Im dritten Akt kommen Paolo und Francesca vor dem Hintergrund der Lektüre in der Geschichte von Tristan und Isolde einander abermals näher, und sie begreifen ihre Liebe als schicksalhaft und unausweichlich. Das Verhängnis naht im vierten Akt, als der dritte Bruder, der gewalttätige Malatestino ( Charles Workman) dem Ehemann Gianciotto von dem Verhältnis zwischen seiner Frau Francesca und Paolo berichtet und vorschlägt, die beiden in der nächsten Nacht zu überraschen. Gianciottos Eifersucht ist aufs Höchste entflammt, und er tötet die beiden in flagranti Ertappten: sowohl Francesca wie seinen Bruder Paolo. Am Rand kauert grinsend der sadistische Denunziant Malatestino.
Sämtliche Gesangspartien sind in hervorragender, ausgeglichener Qualität besetzt. Neben der auch darstellerisch sehr ausdrucksvollen Sara Jakubiak steht gleichrangig ihr Traumpartner Jonathan Tetelman: eine leidenschaftliche, durchgehend edel getönte Tenorstimme ohne Schärfen in der Höhe.
Die eigentliche Entdeckung in dieser mitreissend gestalteten Tragödie ist aber die Musik von Riccardo Zandonai. Sie hat gewiss eine klangliche Nähe zu den Kompositionen von Puccini, aber sie führt eigentlich mit manchem raffiniert gesetzten Halbton noch weiter. Carlo Rizzi leitet das bestens aufgelegte Orchester der Deutschen Oper mit Durchblick und feinem Gespür für die Klangvielfalt der Partitur. Aus dem Orchesterprobenraum vernimmt man den stimmungsvollen, von Jeremy Bines einstudierten Chor, und Alexandra Hutton, als Samaritana im Ensemble, offeriert in der Pause einen Gang hinter die Szene, wie man das aus der New Yorker Metropolitan Opera kennt.
Insgesamt ist der Deutschen Oper für eine sehr reizvolle Aufführung von höchster Qualität zu danken, wie das unter den schwierigen Hygienebedingungen der Pandemie umso bewundernswerter ist.
Horst Rödiger
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