Zum Inhalt: In eine gottlose Welt tritt der Antichrist. Angerufen von Luzifer selbst offenbart er sich in vielerlei Gestalt: Durch Hoffart, Missmut, Begierde, Lüge und Hass wird die Menschheit im „Streit aller gegen alle“ geprüft und versucht. Doch am Schluss setzt die Stimme Gottes dem Antichrist ein Ende: „Hephata!“ / „Öffne dich!“ – die Welt scheint gereinigt.
Rued Langgaards Anfang der 1920er Jahre komponierte und bis 1930 grundlegend überarbeitete „Kirchenoper“ ist ein Monolith im Schaffen des Komponisten, das an aufregenden und ungewöhnlichen Werken nicht arm ist. Ausgehend von der Offenbarung des Johannes entwirft er ein endzeitlich geprägtes Mysterienspiel, das den Zeitgeist des Fin de Siècle nicht verhehlen kann. Dementsprechend geschichtspessimistisch lässt sich sein hochsymbolistischer, voller Assoziationen steckender Text lesen. Doch die schillernde Musik – vom spätromantischen, großen Orchesterklang geprägt, der aber auch immer wieder in sich zusammenfällt und aus dem karg und nüchtern Details herausgearbeitet werden – bringt Hoffnung in die dunkle Welt. Der künstlerische Einzelgänger Langgaard hat hier zu einem Personalstil gefunden, der zwar an Strauss und Wagner erinnert, aber auch seine Zeitgenossen Hindemith und Schönberg nicht verleugnet.
Musikalische Leitung: Stephan Zilias Inszenierung, Bühne: Ersan Mondtag Kostüme: Ersan Mondtag, Annika Lu Hermann Licht: Rainer Casper Chöre: Jeremy Bines Choreografie: Rob Fordeyn Dramaturgie: Lars Gebhardt
''Regisseur Ersan Mondtag, ein Freund der Plakafarbe, hat mit fettem Pinsel eine beeindruckende expressionistische Häuserschlucht fabriziert. Orignellerweise macht er ein Tanzstück aus dem Ganzen. Die Sänger zeigen abenteuerliche Bodypaintings. Der "Mund, der große Worte spricht" (eine der maskierten Inkarnationen des Antikrist) gleicht einem Seeteufel mit aufgerissenem Fischmaul. Die "große Hure" trägt ein Fat-Suit mit abreißbarem Penis. Es gibt Sauriervisagen von solchem Schauwert, dass am Ende umso länger applaudiert wurde, nur um die Kostüme länger bestaunen zu können. Ein Geisterbahn-Spaß für die ganze Familie. Gesungen wird auf Deutsch. Flurina Stucki als Hure und der immer besser werdende Thomas Lehman (Luzifer) haben hörbar Spaß an der Entstellung. Gesanglich ist der Abend tiptop. Auch Chor und Orchester können ordentlich punkten. Warum Donald Runnicles, auf dessen Initiative die Inszenierung zurückgeht, die Arbeit scheute, das Werk zu lernen, weiß ich nicht. Sein ehemaliger Assi Stephan Zilias verwandelt das gut. Solche Sachen kriegt das Haus immer super gebacken.
Man hätte sicherlich mehr aktuelle Bezüge aus dem Stoff herauslesen können. (Das Loblied auf den Hedonismus etwa ist dasselbe, das noch immer gesungen wird. Dagegen konnte ich den angeglich hier heraufdämmernden Faschismus in der Inszenierung nicht recht wiederfinden.) Egal. Hier wird ein großes Pandämonium, ein apokalyptischer Budenzauber gefeiert. Ich war nicht wirklich von den Socken. Höchst beguckenswert und kurios aber ist die Sache doch.'' schreibt Kai Luehrs-Kaiser auf rbbKultur
''Zurecht hätte - nach einer Interviewaussage - Ersan Mondtag, der gewiefte Regisseur und Ausstatter des hochbemerkenswerten DOB-Spektakels, Langgaards Schwachsinnstext links liegen lassen und vornehmlich assoziationsgesteuert lustig und drauf los seine Spontanideen ausgespritzt; hierzu ließ er sich - zusätzlich zur hochgenialen Sängerinnen- und Sängerschar (einschließlich des beim Sinfonie der Tausend-Kurzfinale hochsensationell klingenden Chors der Deutschen Oper Berlin!) - ein Dutzend Tänzerinnen und Tänzer [alle Namen s.u.] engagieren, die die schönen Intermezzi unsers Komponisten Rued vertanzen mussten (Choreografie: Rob Fordeyn); ja und anfangs trugen sie Kostüme, wie sie auch ein Oskar Schlemmer seiner Zeit entworfen haben könnte. Sowieso: der hochbegabte Multikünstler Mondtag hat ein irrsinnsgut beim Zuschauenden funktionierendes Talent, Inhalt durch Formen resp. Inhalte durch Form vorzüglich platt machen zu können; muss man erst mal können, DAS nenne ich echtes Handwerk.
Das musikalische Resultat dieser Opernentdeckung: vom Feinsten. Stefan Zilias hatte einstudiert und dirigiert, und das Orchester der Deutschen Oper Berlin musizierte in gewohnter Hochform. [Ich bedauere zutiefst, dass ich Langaards Tondichtung Sfærernes, die das Orchester beim MUSIKFEST BERLIN 2016 aufführte, verpasste; hätte womöglich als Vergleich zum Antikrist ganz gut gepasst.] Das sängerische Personal: ebenso vom Feinsten. Und die Frauen-Mannschaft fiel besonders auf, Valeriia Savinskaia (als Rätselstimmen-Echo), Irene Roberts (als Rätselstimme), Gina Perregrino (als Missmut) sowie Flurina Stucki (als Hure). Jonas Grundner-Cullemann war Gottes Stimme und musste relativ lang im Adamskostüm agieren, auch nicht übel (für die Augen). Alles in allem: Viktor Ullmanns Der Sturz des Antichrist - nur zum Vergleich - hat ein-eindeutig diskussionswertere Qualität, obgleich auch sein Libretto reichhaltig an Schwachsinn ist, aber zumindest gab und gibt es in ihm eine nachvollziehbare Geschichte und fantastische Musik.'' schreibt Andre Sokolowski am 31. Januar 2022 auf KULTURA-EXTRA