Das Schicksal hatte wohl schon in der Startphase dieser Oper launenhaft seine
Hand im Spiel. Die Premiere der Urfassung mit dem Libretto von Francesco Maria Piave und der Musik von Giuseppe Verdi fand nach allerlei Besetzungsquerelen 1862 in Sankt Petersburg statt. Die Aufführung war ein Erfolg, aber Verdi selbst monierte dramaturgische Schwächen und veranlasste Antonio Ghislanzoni zur Überarbeitung des Librettos. Die Premiere dieser modifizierten Fassung erfolgte dann 1869 an der Mailänder Scala. In Deutschland war das Werk erstmals 1878 an der Berliner Krolloper zu sehen.
Frank Castorfs, des Ex-Volksbühnen-Intendanten erste Berliner Operninszenierung fand an der Deutschen Oper statt, und sie geriet zu einem Musterbeispiel deutschen Regietheaters, hinter dessen Umrissen die Konturen der überlieferten Verdi-Oper nur noch mit viel gutem Willen aufzufinden waren. Im Laufe des Abends kam dem Publikum aber diese Nachsicht abhanden, und das Ergebnis war eine Aufführung, die knapp am Abbruch vorbeischipperte.
Aber der Reihe nach. Frank Castorfs Inszenierung folgt einem durchaus einleuchtenden Konzept, bedient sich dafür aber leider streckenweise der falschen Mittel. Was für einen Theaterregisseur ja nicht verwerflich ist, sich aber in der Opernregie aus vielen Gründen definitiv verbietet. Das Konzept läuft darauf hinaus, die Handlung dieser Verdi-Oper konsequent als Anti-Kriegs-Appell zu präsentieren, und daran ist ja auch insoweit nichts auszusetzen.
Das Bühnenbild von Aleksander Denic nutzt die Möglichkeiten der Drehbühne. Im Kreis sind nebeneinander angeordnet: ein Haus, ein Gasthof, eine Kirchenfassade und ein Lazarett. In der Gestaltung dieser Orte mischen sich unbekümmert Stilelemente aus verschiedenen Epochen und Regionen.
Als szenisch belebenden Faktor setzt Castorf, wie er das gern tut, ausführliche Video-Implemente ein. Intelligente Personenregie wird dabei durch extensiven Gebrauch von Live-Handkameras ersetzt, deren Elaborate dem sowieso schon durch Reizüberflutung stark geforderten Opernbesucher auf ein bis zwei Video-Projektionsflächen dargeboten werden. Dadurch kann man sowohl Handlungsabläufe aus dem Inneren von Gebäuden wie auch zum Beispiel die blutigen Operationsdetails aus einem Lazarett am Schlachtfeldrand dem Zuschauer nahebringen.
Am Anfang der schicksalhaften Komplikationen der Opernhandlung steht ein rassistisches Vorurteil, in dessen Folge der Vater der Heldin Leonora de Vargas (Maria José Siri) unabsichtlich getötet wird. Don Alvaro (buchstäblich perfekt: Russell Thomas) flieht und tritt in das in Italien kämpfende spanische Heer ein, nur um dort Leonoras Bruder Carlo ( Markus Brück) zu treffen und nichtsahnend mit ihm Freundschaft zu schliessen. Aber die Tarnung fliegt auf, beide Rivalen wollen sich duellieren, aber dazu kommt es erst später. Vor den Toren des Klosters, in das Alvaro geflüchtet ist, kommt es zum Showdown. Alvaro verwundet Carlo im Duell, die aus ihrer Einsiedelei herbeigeeilte Leonora will ihm die Sterbesakramente erteilen, aber Carlo ersticht sie aus Rache. Alvaro bleibt verzweifelt zurück.
Mit dem Ablauf dieser mörderischen Geschichte geht es lange Zeit gut. Der Zuschauer ist damit beschäftigt, das eine oder andere Rätsel szenischer Geschehnisse zu lösen, etwa das Auftauchen eines androgynen Indios, der seiner Umgebung bald sichtbar, bald unsichtbar zu sein und Sünde wie Buße gleichermaßen zu symbolisieren scheint. Aber dann, in einer späten Phase der Schicksalsschläge, geht der Theaterregisseur mit Castorf durch. Er läßt zunächst den Indio und dann zwei andere Ensemblemitglieder sehr ausführliche Texte von Heiner Müller und Curzio Malaparte deklamieren, deren Zusammenhang mit der Opernhandlung auch bei bester Absicht kaum zu ermitteln ist. Das Publikum wird unruhig, unterbricht den Vortrag mit Zwischenrufen, fordert ein Ende des Textvortrags und die Rückkehr zur Musik. Minutenlang ist außer dem Lärm der Protestierenden nichts zu vernehmen, das Orchester pausiert. Schliesslich wird die Rezitation wieder aufgenommen, die Oper findet ihren Fortgang, und Leonora kann mit ihrer berühmten Arie "Pace,Pace" wieder etwas Öl auf die Wogen der Erregung gießen.
Das Kuriose an diesem Hergang besteht darin, dass die Aufführung musikalisch absolut ohne Tadel ist. Maestro Jordi Bernàcer hat sein Orchester gut im Griff, die Ouvertüre gerät etwas knallig, aber später gelingen auch diejenigen Partien gut, die einiges Feingefühl erfordern. Die Chöre sind zuverlässig einstudiert, auch wenn es gelegentlich rhythmische Divergenzen mit dem Dirigenten gibt. Die Solistenrollen sind sämtlich mit hervorragenden Stimmen besetzt.
Zum Lohn ist der Schlußapplaus überaus reichlich und mit vielen Bravorufen durchsetzt. Auch Regisseur Frank Castorf scheut die Begegnung mit dem Publikum keineswegs, löst allerdings mit ein paar selbstverliebten Gesten einen Reaktionssturm aus, bei dem sich die Pro-Castorf-Claque und ihr Widerpart akustisch erbittert bekämpfen. Zurück bleibt ein etwas ratloses Publikum, bei dem sich lediglich die Meinung durchsetzt, dass diese Aufführung dem Andenken und Geist Verdis kaum dienlich gewesen sein kann.
Horst Rödiger
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