Der „Hoffmann“ ist Offenbachs letztes Werk, eine Frucht der späten Jahre, geprägt von dem dringenden Wunsch, endlich eine „grosse Oper“ nach Art von Gounod zu schreiben, wie Offenbach sie in seinen frühen Erfolgsoperetten eher persifliert hatte. Da das Opus unvollendet blieb, haben sich seit der Uraufführung 1881 in Paris zahlreiche Revisoren und Vollender daran versucht, um das Werk für Aufführungen zu optimieren. Die nun in der Deutschen Oper Berlin gezeigte Version ist eine fünfaktige Langfassung, noch dazu das Ergebnis einer kooperativen Kettenreaktion, in die nicht weniger als vier Opernhäuser mit Weltgeltung eingebunden waren. Leider erfährt man von diesem Schaffensprozeß im Programmheft lediglich, dass die Erst-Premiere 2005 in Lyon stattgefunden hat.
Schauplatz der Handlung ist zunächst die Berliner Kneipe von Lutter & Wegner. Den Kneipier Maître Lutter gibt Tobias Kehrer mit blütenweißer Schürze, diensteifrig die Rampe entlang laufend. Der Dichter Hoffmann (Daniel Johansson), vom Alkoholdunst beflügelt, schildert den Gästen die Geschichte seiner Amouren. Seine Muse (Irene Roberts), die ihn in Gestalt seines Freundes Nicklausse durch sein ganzes Liebesleben begleitet, will ihn vom Bild der Sängerin Stella, in die er unglücklich verliebt ist, lösen und für die Kunst zurückgewinnen.
Vier Frauen sind’s, denen Hoffmann nacheinander verfällt, und alle vier stellt die Sopranistin Cristina Pasaroiu mit souveräner Perfektion dar, und ihr gelingt es auch, den vier Charakteren unterschiedliche Wesenszüge zu geben. Ihre Stimme ist mit Strahlkraft und Leidenschaft ein Glücksfall für die Besetzung der Frauenrollen, die anderswo auch schon mal von vier verschiedenen Sängerinnen übernommen werden, wobei die hier gewählte Besetzungslösung der dramaturgischen Logik zugute kommt.
Das Gegengewicht zur Emphase der Liebenden ist der Geist des Bösen. Hier nennt er sich Lindorf, Coppélius, Doktor Miracle und Dapertutto, und stets vereitelt er die Erfüllung von Hoffmanns Liebessehnsucht. Alex Esposito singt diese Partie mit dunklem Bass und der nötigen unterschwelligen Dämonie.
Im Mittelpunkt der ersten Liebes-Episode steht Olympia, die Tochter des Physikers Spalanzani (Jörg Schörner). Ihr Auftritt wird zum frühen Höhepunkt des ganzen Abends: von einem nahezu unsichtbaren Kamerakran getragen, kann Cristina Pasaroiu die anspruchsvollen Koloraturen ihrer Partie kristallklar und dem Auf und Ab der Musik folgend ins Publikum schicken, das ihre Bravourarie mit begeistertem Szenenapplaus honoriert. Gleichwohl erweist sich Hoffmanns Geliebte Olympia unter dem höhnischen Gelächter der Menge später als Automatenpuppe.
Hoffmanns zweite Liebe, um Stella zu vergessen, ist Antonia, die infolge einer geheimnisvollen Krankheit nicht singen darf, obwohl ihre ganze Hingabe neben Hoffmann vor allem dem Gesang gilt. Ihr Vater Crespel (James Platt) geht aus dem Haus, und der teuflische Doktor Miracle nutzt diese Chance und stachelt Antonias Ehrgeiz an, bis sie sich trotz aller Warnungen buchstäblich zu Tode singt.
Der vierte Akt spielt in Venedig und zelebriert die berühmte Barcarole. Zwar wartet das Bühnenbild nicht mit veritablen Gondeln auf, aber stattdessen gibt es zwischen Vorhängen anmutig kreisende lindgrüne Boudoirmöbel, auf denen sich dekorativ sitzen und singen läßt. Hoffmanns Leidenschaft ist diesmal auf die Kurtisane Giulietta gerichtet. Der niederträchtige Dapertutto hat sie mit dem Geschenk eines Diamanten dazu bewegt, Hoffmann sein Spiegelbild zu rauben. Die berühmte Spiegelarie des bösen Intriganten klingt diesmal irgendwie anders - es muß wohl mehrere Versionen davon geben. Hoffmann tötet den Konkurrenten Schlemihl (Byung Gil Kim), überläßt Giulietta sein Spiegelbild und ersticht sie am Ende mit dem Degen des abgefeimten Dapertutto, als sie ihn wegen des Schlemihl-Mordes an die Häscher verrät.
Schließlich führt der fünfte Akt wieder zu Lutter & Wegner. Hoffmann ist nun vollends berauscht und will auch nichts mehr von Stella wissen, die nach ihrem Erfolg als Donna Anna in „Don Giovanni“ von der Bühne zurückkehrt. Die Muse verspricht Hoffmann Trost in der Kunst - nach allem Bisherigen eine eher vage Hoffnung.
Die Inszenierung von Laurent Pelly im sehr abwechslungsreichen und beweglichen Bühnenbild von Chantal Thomas leuchtet die Aspekte der verschiedenen Persönlichkeitsbilder sehr überzeugend aus. Die Solistenrollen sind sämtlich gut besetzt und geben der Handlung die nötige Farbe. Jeremy Bines hat seine Chöre genau instruiert, und Enrique Mazzola am Pult erreicht eine ausgewogene Harmonie mit dem aufmerksamen Orchester der Deutschen Oper. Viel Beifall am Ende eines ausgedehnten Premierenabends, der das Publikum kurz vor Mitternacht entläßt.
Horst Rödiger
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