Zum Inhalt: Das neue Stück von Dennis Kelly, ein Monolog von großer Wucht und Wahrhaftigkeit, thematisiert das demontierte Familienoberhaupt als Phänomen unserer Zeit und stellt dabei patriarchale gesellschaftliche Strukturen grundsätzlich in Frage.
"Girls & Boys" ist der Lebensbericht einer Frau von heute, deren Namen wir nicht einmal erfahren. Es ist die Geschichte eines "ganz normalen Lebens", das zur Tragödie wird, eines Lebens, das daran zerbricht, dass der Familienvater und -ernährer dem Erfolg seiner Frau im Beruf, ihrer Selbstständigkeit und der schließlich folgenden Scheidung nicht zu begegnen weiß. Das Ehepaar verliert sich in der Krise, in den tradierten Geschlechterbildern, übersieht dabei die Not des jeweils anderen, die Beziehung zerbricht, die Familie geht daran zu Grunde.
Regie: Lily Sykes Bühne/Kostüme: Komposition/Live-Musik: David Schwarz Künstlerische Beratung: Clara Topic-Matutin
''Das Stück ist durchzogen mit Anspielungen an Rollenbilder, die sich vage in der unterschiedlichen Auffassung vom Kinderkriegen oder in politischen Diskussionen zeigen. Im Job erlebt die Frau auch einmal einen sexistischen Annährungsversuch eines älteren Regisseurs. Letztendlich manifestiert sich das Männerbild aber in der kalten Abwendung des Ehemannes von seiner Frau und der Drohung, nachdem sie sich scheiden lassen will, dass er ihr die Kinder nicht überlassen wird. Aus einer zunächst perfekten Beziehung entwickelt sich über die Jahre fast unmerklich ein Albtraum. Kelly beschreibt das allerdings sehr langsam über das gesamte Stück. Ob aus reinen Suspense-Gründen oder um die dramatische und emotionale Fallhöhe über ein anfängliches Himmelhoch jauchzend bis zum finalen zu Tode betrübt sein zu definieren, bleibt das Geheimnis des Autors. Wir erleben es als furiosen Start einer Stand-up Comedian, die nicht vor knalligen und expliziten Worten zurückschreckt.
Später baut Kelly Zwischenepisoden ein, in der die Frau mit ihren imaginierten Kindern spricht und spielt. Es geht auch da ganz thesenhaft um Rollenbilder. Die Tochter ist der kreative Part, wogegen der Junge zu destruktivem Spielverhalten neigt. Der Mann ist hier nicht anwesend. Irgendeine Brechung oder Erklärung gibt es dazu nicht. Alles rollt auf das tragische Ende zu, das wohl von Euripides inspiriert ist, aber tatsächlich eine nicht seltene Art der männlichen Gewaltausübung darstellt, die hier bis ins Detail geschildert wird. Dafür muss schließlich sogar noch die Statistik herhalten. Es geht letztendlich um männlichen Kontrollverlust, Erfolgsneid und um die Angst dem angestammten Rollenbild nicht mehr entsprechen zu können. Das ist soziologisch untersucht und auch nicht von der Hand zu weisen. Diese Art von Mann einfach so aus dem Kopf einer Frau auslöschen zu können, wie es im Text heißt, wird ohne entsprechende Debatte kaum möglich sein. Das Stück ist allerdings zu dünn, um einen echten Beitrag dazu leisten zu können.'' schreibt Stefan Bock am 15. März 2018 auf KULTURA-EXTRA