''Castorf benutzte also den Romantext (Ursprungsfassung) als wie autofiktionale Texte Falladas, die dieser im Gefängnis oder in der Psychiatrie verfasste, wie z.B. Die Kuh, der Schuh, dann du. Ja und so etwa fifty-fifty ging es dann in seinem Stück a) um besagte Handlungsabschnitte aus Kleiner Mann - was nun? und b) um Fallada als Schriftsteller und Mensch, alles dann überwürzt mit (wie bei Castorf üblich) Fremdtexten (z.B. Schlacht von Heiner Müller) und viel, viel "thematischer" Musik ("Nie wieder Kokain" von Faber, "Alt Moabit" von Wouter van Bemmel, "Arleta" von Mia Fora Thymamai, "Die ganze Welt ist himmelblau" mit Peter Kraus, "With the dark hug of time" von Colin Stetson & Sarah Neufeld usw. usf.).
Er holte, so wie eh und je, das Maximale aus dem ihm zur Verfügung stehenden Schauspielerinnen- und Schauspieler-"Material" heraus - im Publikum entdecke ich, rein zufällig, paar Altgediente seiner früheren Volksbühnenfamily: Sophie Rois, Katrin Angerer, Frank Büttner, auch Jeanne Balibar (!) war da. Ich fragte mich, ob sie entweder froh oder traurig wären, dass sie diese anstrengenden Texte-Massen, die er ihnen immer zumutete, nicht mehr aus sich sondern müssten, und sie mussten schließlich dieses viele Textzeugs vorher erst noch auswendig lernen und begreifen, doch wahrscheinlich sind sie beides, also froh und traurig zugleich. Nun, jetzt sind halt die anderen mal dran: Artemis Chalkidou, Maximilian Diehle, Pauline Knof, Maeve Metelka, Gabriel Schneider; alles Leute vom BE-Ensemble, die bei ihm noch nicht zuvor gespielt hatten. Auch Jonathan Kempf (!!) zählt mit dazu, der war dann aber schon bei Castorfs Fabian (2021) in Aktion und lieferte dann dieses Mal, als Fallada-Ego, einen geradezu expressionistischen Extra- und Eröffnungsauftritt der absoluten Sonderklasse, Schauspielkunst vom Allerfeinsten!
Und Andreas Döhler - der hinwieder und zuvörderst - war bereits in den drei vorigen BE-Großopern, die der Castorf seit 2017 am Schiffbauerdamm gewuchtet hatte, mit dabei (Les Misérables, Galileo Galilei, Fabian oder Der Gang vor die Hunde). Ja, er gehört seither zu Castorfs innererem Kreis; beim wohlwollenden Schlussapplaus war er derjenige, den Castorf am wohl innigsten und auffälligsten herzte, und so musste der Verlegene mit seinen Tränen kämpfen... Schönes Bild.
Müßig, all das Gesehene/ Gehörte hier an dieser Stelle chronologisch nachzuerzählen. Die Faszination der Castorf-Inszenierungen besteht seither darin, das jeweils von ihm dramaturgisch angezettelte Groß-Durcheinander in seiner wiederum perfekt anmutenden Geordnetheit auf sich wirken zu lassen. Und ob das alles, was er uns da jemals sagen wollte, bei uns ankommt, liegt im Auge (und im Ohr, versteht sich) des Betrachters.'' Andre Sokolowski am 15. September 2024 auf KULTURA-EXTRA