Zum Inhalt: Was wäre, wenn wir und die uns bekannte Welt irgendwo im Universum mindestens ein zweites Mal existierten? Was hätten wir zu erzählen, wenn wir uns darin selbst begegnen könnten zu anderen Zeiten? Was würde es für unser Handeln bedeuten, wenn quer durch Zeit und Raum alles mit allem in Wechselwirkung stünde? Zwei Schauspielensembles spielen in zwei identischen Bühnenwelten in Dortmund und Berlin über 420,26 km Luftlinie hinweg miteinander Die Parallelwelt – getrennt und zugleich sicht- und hörbar verbunden durch ein Glasfaserkabel, das den Abstand in Lichtgeschwindigkeit pulverisiert. Kay Voges’ Interesse gilt den künstlerischen Möglichkeiten und Erzählweisen, welche die Digitalisierung dem Theater eröffnen. Gemeinsam mit seinem Team entwickelt er eine neue Multimedia-Performance an der Schnittstelle von Theater und Filmkunst als Koproduktion von Berliner Ensemble und Schauspiel Dortmund.
Regie: Kay Voges Bühne: Daniel Roskamp Kostüme: Mona Ulrich Bildregie: Voxi Bärenklau Musikalische Leitung: T. D. Finck von Finckenstein Dramaturgie: Sibylle Baschung, Alexander Kerlin Videodesign: Robinson Voigt, Mario Simon Kamera: Benjamin Hartlöhner, Miriam Kolesnyk, Tobias Hoeft, Jan Voges Engineering: Dominic Bay, Lucas Pless Licht: Benjamin Schwigon, Sibylle Stuck
Eine Simultanaufführung zwischen dem Berliner Ensemble und dem Schauspiel Dortmund
''Großes Thema auch hier die Gleichzeitigkeit der Ereignisse, die mediale Reizüberflutung, die die Erkennbarkeit der Welt erschwert. Hinzu kommt nun noch die gedankliche Überforderung durch die Vorstellung, kein einzigartiges Individuum zu sein. Das kulminiert in der im Mittelpunkt der Inszenierung stehenden Hochzeitszene, bei der das Zeit-Raum-Kontinuum aufbricht und sich beide Hochzeitgesellschaften gewahr werden. Was natürlich auch nur mittels Videoübertragung funktioniert. Es beginnt nun ein Streit darüber, wer nun das echte Brautpaar ist. Ein dialogischer Schlagabtausch, der an Banalität und Peinlichkeit nicht mehr zu überbieten ist und in einem Currywurstdisput zwischen Dortmund und Berlin mündet, bei dem über das Wort „Vorstellung“ gekalauert wird. Es gibt „Quanten“-Witze und Schrödingers Katze als Weihnachtsgeschenk. Dazu wabert über den allgegenwärtigen Videoscreen eine computeranimierte Flüssigkeit frei nach dem Motto: Alles fließt.
Esoterischer Kokolores, wie man ihn auch von Susanne Kennedy (Die Selbstmord-Schwestern und Women in Trouble) kennt. Was zudem sauer aufstößt, wurden und werden sie und Voges doch oft auch als Nachfolger für eine zukünftige Volksbühnenintendanz gehandelt. Die reale Welt in die digitale zu erweitern und zu spiegeln, ist ihr erklärtes Ziel. Viel anzufangen weiß das digitale Theater von Kay Voges mit der Technologie allerdings nicht. Was bleibt, ist ein schales Gefühl, dass das eigentliche Theater und die reale Welt hinter das technische Blendwerk einer digitalen Videoshow zurücktritt. Und das ist nicht zukunftweisend, sondern ziemlich reaktionär. Kay Voges nennt das Ganze ja auch eine „Multimedia-Performance an der Schnittstelle von Theater und Filmkunst“. Mit einem guten Drehbuch ließe sich damit vielleicht bei Amazon oder Netflix reüssieren.'' Stefan Bock am 17. September 2018 auf KULTURA-EXTRA
''Die längste Zeit der zähen, durchweg vorhersehbaren zwei Stunden aber weiß Voges die Anwesenheit realer Schauspieler kaum zu nutzen. Und verschenkt somit die vielleicht interessanteste Frage dieser Inszenierung im Zeitalter der Digitalisierung: Was hat der stoffliche, materialisierte Körper in all seiner Sinnlichkeit und Nähe, in seiner direkten Ansprache an den Zuschauer dem zweidimensionalen Videobild voraus – und wo siegt die Nahaufnahme, das inszenierte Bild über das reale Fleisch und Blut? Große Schauspieler wie Peter Moltzen, Stephanie Eidt, Annika Meier, Josefin Platt agieren in ihrem abgesteckten Quadrat fast ausschließlich mit Blick in die Linse, verdeckt vom Kameramann. Hochwertig produzierte Videos, perfektionierte technische Abläufe und hübsch ausstaffierte philosophische Thesenträger sind an diesem Abend zu sehen – aber keine Menschen.'' schreibt Barbara Behrendt auf kulturradio.de
„Was ist wirklich? Alles was sich messen lässt? Welche anderen Wirklichkeitsräume gibt es und welchen Einfluss haben sie auf unser Leben? Was ist mit Traum und Fantasie? Welche Rolle spielen Gedanken und Vorstellungen? Erschaffen wir die Welt in unserer Vorstellung oder können wir uns nur vorstellen, was der Fall ist? Was aber ist der Fall? Und für wen? Und wo? Welche Wirklichkeitsräume teilen wir mit wem genau, seit die digitalisierte Welt gefühlt auf einen Punkt zusammengeschrumpft und zum globalen Dorf geworden ist, in der es keine Abstände mehr gibt?“
Hinter den von den beiden Theatern geschürten hohen Erwartungen bleibt der Abend meilenweit zurück: Aufgeblasen mit Zitaten aus einem überquellenden Zettelkasten (von Empedokles über Newton bis Heisenberg) und erschreckend banal versucht sich der Abend daran, das Leben von „Fred“ aus verschiedenen Perspektiven zu erzielen. Berlin arbeitet sich von der Geburtsszene vorwärts, Dortmund spult von der beschriebenen Sterbeszene zurück. Zur Halbzeit der zähen zwei Stunden treffen sie sich bei einer Doppelhochzeit, bei der sich hysterische Bräute gegenseitig ankeifen, wer real und wer Illusion ist.
Bis zu diesem Zeitpunkt troff der Abend derart vor Kitsch, den eine Stimme aus dem Off esoterisch in die beiden Pubkika raunte, dass es ein Wunder grenzte, dass das eigens verlegte Glasfaserkabel nicht aus Scham in Salzgitter-Bad entzwei riss.
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