Bewertung: 4 / 5

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    Moderne Monologe zum Vorsprechen: 
    Monologe für Männer / Schauspieler 

    Rolle: Meister Staberl, ein Parapluiemacher. 
    Stück: Die Bürger in Wien 
    Autor: Adolf Bäuerle 

    Erscheinungsjahr: 1813 
    Originalsprache: Deutsch
     


    1. Akt, 5. Szene 

    Meister Staberl und der bürgerlicher Bindermeister Josef Redlich. 

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    29481403 9783743715684 XlMEISTER STABERL: Gehorsamer Diener, Herr Redlich, g'horsamer Diener! Nu, was gibt's Neues, weil ich grad so vorbeispring. Hört man nichts von einem Krieg? Mir ist die Zeit völlig lang vor lauter Frieden. Ich höre, wir werden gegen die Kalmukesen marschieren – mir wär's recht; wenn ich nur was davon hätt. [...] Ei! Ich bin kein Narr, o nein, ich bin g'scheit, überall red't man von dem g'scheiten Staberl, weit und breit werd ich gesucht, um meine politischen Meinungen von mir zu geben. Der Bratelbrater da drüben sagt, ich hätte Studieren sollen und ein Redner im englischen Parlament werden, wegen meinem schönen Vortrag und der Flüssigkeit meiner Sprache, ich hätte durch meine Gedanken die Menschen beschirmen können. Mein Vater hat aber dies nicht eingesehen und hat mich zur Flüssigkeit des Himmels auf erzogen, da beschirm ich denn auch die Menschheit, aber bloß mit meinen Parapluies! [...] So? Ja, um ein Jahrhundert bin ich vorausgeruckt; ich kenn alles, versteh alles, begreif alles, beurteil alles, wenn ich nur was davon hätte. Hochdeutsch und mit Beziehung. Andere Leute sind um fünfzig Jahre hinter mir – oder hab ich nicht alles vorausgesagt, was wir seit zwanzig Jahren erlebt haben? Den ganzen Siegesgang von Kulm bis Paris, den Leipziger Befreiungstag, den Majoratsherrn von allen Siegen, die wir gehabt haben? Weiß ich nicht, daß London überm Meer liegt und daß Stockholm und Stockerau zweierlei sind? Hat nicht in jedem Krieg mein Herz geblutet,[4] wenn auch sonst mein Blut ganz ruhig geblieben ist? O mein bester Herr Redlich, es wäre einmal die höchste Zeit, daß meine Verdienste vergolten würden – daß es einmal einen Krieg gäbe, wo man sich mit meinen Parapluies vor dem Kugelregen schützen könnte – den wollt ich loben. Warum? Weil ich was davon hätte! Aber so, wie es jetzt immer war, sind mir die besten Kundschaften ohne Händ zurück'kommen; wenn das so fortging, würd ich ein aufgelegter Bettler; nun ja, wenn ein Mensch keine Händ mehr hat, mit was soll er denn ein Parapluie halten; man müßt es nur auf der Nasen balancieren, und das kann nicht ein jeder.

     


    Bewertung: 5 / 5

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    Moderne Monologe zum Vorsprechen: 
    Monologe für Männer / Schauspieler 

    Rolle: Meister Staberl, ein Parapluiemacher. 
    Stück: Die Bürger in Wien 
    Autor: Adolf Bäuerle 

    Erscheinungsjahr: 1813 
    Originalsprache: Deutsch
     


    1. Akt, 5. Szene 

    Meister Staberl und der bürgerlicher Bindermeister Josef Redlich. 

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    29481403 9783743715684 XlMEISTER STABERL: Nu, viel und wenig, wie man's nimmt; wenn ich nur was davon hätt! – Da war ich grad drüben bei der Kässtecherin, die hat ihrem Zimmerherrn ihr Parapluie geliehen, und der hat ihr dafür einen ordentlichen Riß hinein gemacht; schauen Sie nur her! Er zeigt ihm ein häßlich zerrissenes Parapluie. Weil halt ein so junger Mensch nicht achtgibt, und daß ich kurz bin – lang bin ich so nicht –, so hat sie mir's mit'geben zum Flicken. – Da steht ein galanter Herr, der red't von kuriosen Sachen. – Sie werden den Herrn wahrscheinlich kennen, die Kässtecherin versichert mich, er hätt zwar nicht das Pulver, aber den Haarpuder erfunden! Ich bleib bescheiden rückwärts stehen und hör, wie der galante Herr sagt: daß Warschau und Potsdam durch den Neustädter Kanal miteinander verbunden, Konstantinopel mit der Pforte vereinigt und Moskau nach Rußland verlegt werden soll. – Ich verschlinge diese Neuigkeiten als ein echter Patriot und rühr mich nicht. Nun erzählt er, daß die Algierer endlich die Seeräuber geschlagen haben und das Mittelländische Meer abermals die Dardanellen passiert hätte. Ich laß nur einen kurzen Atem von mir. Der galante Herr bemerkt mich, schaut sich um. Aber Musjö Redlich, jetzt war es auch aus mit der Geschichte; wer schnell abgebrochen hatte, war mein galanter Herr, nur noch verblümt hat er sich hören lassen. »Ja, ja«, fangt er an, »so ist es, liebe Frau Kässtecherin, auf das, was ich Ihnen gesagt habe, hat sich nichts weiter ereignet, als daß meine Wäscherin schon in der dritten Woche mir hat meine zwei linken Fußsäckel ausgelassen und hat mir zwei rechte dafür gebracht und daß dieser Umstand der letzte sein wird, der die gegenwärtigen Begebenheiten leitet.« Versteh's, hab ich mir g'denkt, der Staberl ist kein Stock, nun wart, galanter Herr, du sollst mich gleich venerieren. Ich tret geschwind vor und sag: »Sie reden meinetwegen verblümt? Nehmen plötzlich in den Kriegsaffären von den Seeräubern Ihre Zuflucht zu einer Wäscherin und zwei Fußsäckeln? Auch diesen Absprung kenn ich gut: Sie haben von Moskau gesprochen, haben Warschau und Potsdam berührt, Sie haben auf den Neustädter Kanal gestichelt und die Algierer tuschiert – ich weiß nun gut, was Sie sagen wollen. Ich soll den Ausgang der Begebenheiten nicht verstehen? – Aber Staberl weiß alles. Ihre Strumpfsäckel, die Ihnen schon zweimal ausgelassen wurden, bedeuten nichts als zwei unterschlagene Depeschen; die Wäscherin stellt die Kriegserklärung vor – die Feinde werden gewaschen, das Linke wird mit dem Rechten verwechselt, und das Fazit ist da.« – Herr Redlich, jetzt war es aus. – Er schaut mich an, ich schau ihn an – die Kässtecherin schaut uns alle zwei an; wir schauen die Kässtecherin an; der galante Herr schmunzelt; ich schmunzl auch; drauf lacht er laut; ich lach sehr laut – er macht ein politisches Gesicht, ich ein diplomatisches! Endlich schaut er auf die Uhr und sagt: »Sie Philosoph – Sie Sterngucker, Sie Hexenmeister oder wie ich Sie nennen soll! Wo haben Sie das her? Wer sind Sie? Wie heißen Sie? In welchem Kabinett arbeiten Sie?« Ich sag gelassen alles heraus, nenn meinen Tauf- und Zunamen, wer mein Vater war und meine Mutter – und als ich daraufkam, daß ich in keinem Kabinett arbeit, sondern in meinem Bodenzimmer im vierten Stock, da wollt er gar nicht mehr zu sich kommen. Gebogen, gebeutelt und geschauert hat es ihn vor lauter Bewunderung. Die Kässtecherin hat mir nur g'wunken, ich soll gehn, weil er gewiß umg'schnappt wär vor lauter Lachen.

     


    Bewertung: 4 / 5

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    Moderne Monologe zum Vorsprechen: 
    Monologe für Frauen / Schauspielerinnen 

    Rolle: Beckmann 
    Stück: Doktor Faust's Mantel 
    Autor: Adolf Bäuerle 

    Erscheinungsjahr: 1813 
    Originalsprache: Deutsch
     


    2. Akt, 1. Szene 

    Rosel und die Dienstleute. 

    Elegantes Zimmer in des Schusters Fledermaus neuem Hause. Schöne Toilette. Rosel im besonders schönen Schlepp-Kleide vor dem Spiegel. Einige Kammermädchen. An der Thüre ein Paar Jäger.

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    29481403 9783743715684 XlROSEL: (sehr hoffärtig, schickt sich jedoch albern an) Nun geht's jetzt nur zu; ich bin mit eurer Ehrfurcht zufrieden. Euer Gnaden hin, Euer Gnaden her; diese Wörter sind mir ein Bissel zu wenig. Sie rauscht mit dem langen Schleppkleide auf dem Theater hin und her. Denkr's auf einen noblern Ausdruck; so was von Excellenz oder Durchlaucht. Ich habe ja Geld, ich kann jeden Titel zahlen. (Die Dienstleute verneigen sich, und wollen gehen.) Wart's noch ein wenig! Sie geht stolz auf und ab. Sagt's mir einmahl, bin ich recht vornehm? Wie ist denn mein Anstand in diesem Kleid? Hab' ich einen guten Schritt in diesem Hut? – [...] Wie steht mir denn das Augenglas? Nu, nu, schneidt's keine Gesichter; ich nimm alles aus. Wenn ich halt wo fehl', so sagt's mir. Oft wissen die Dienstbothen mehr, als die Herrschaften. Kein Gelehrter ist vom Himmel g'fallen. Entfaltet ein Schnupftuch und rollt es auf die Dienstleute hin. So, da habt's was zu riechen. Mille fleures heißt mann's! Nicht wahr, das riecht wie lauter Veigerl und und Vergißein'mnicht? Ja, wir vornehmen Leut' haben allerhand Hilfsmittel, unsere Reitze zu erhöhen. Jetzt geht's. Statt ein' Doceur habt's da noch einen Geruch! Sie flattert mit dem Schnupftuche. Wann ich euch brauch', so werd' ich schon läuten. (Die Dienstleute gehen mit Verbeugungen ab.) Wann Jemand mit mir sprechen will, so muß er mir gemeldt werden!

     


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    Moderne Monologe zum Vorsprechen: 
    Monologe für Frauen / Schauspielerinnen 

    Rolle: Beckmann 
    Stück: Doktor Faust's Mantel 
    Autor: Adolf Bäuerle 

    Erscheinungsjahr: 1813 
    Originalsprache: Deutsch
     


    2. Akt, 2. Szene 

    Rosel allein. 

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    29481403 9783743715684 XlROSEL: Gott sey Dank, so wäre ich dann auf einmahl eine vornehme Frau; hab lang genug drauf g'wart. Nun schwer ist dieser Stand g'rad nicht, ein gemeines Weib ist viel härter dran. Da will ich mich doch lieber zehn Mahl schminken statt als eine gemeine Schusterinn ein einziges Paar Schuh einfaßen. Da sticht man sich weiter nicht in die Finger! Nein so ists besser. Sie geht zum Spiegel. Schön bin ich, das braucht nichts. Jetzt kommen meine Vorzüg' erst recht an den Tag, und stattlich bin ich wie ein' Markgräfinn. Wenn ich den Arm so rund heb', und den Fuß so ausbieg', so komm' ich mir g'rad wie die Göttinn vor, die in meinem Schlafzimmer auf dem Ofen steht. (Arie:)

    Jetzt bin ich so schön wie eine Göttinn von Stein,
    Kann stolz wie ein' Königinn gehen,
    Kann tanzen, kann reiten und singen so fein,
    Kann vornehm auf Achtung bestehen.
    Mein Stimm' in der Höhe: tralarilala,
    Und dann in der Tiefe: dadadidada!
    Muß, wer mich nur höret, gefallen,
    Ich bin ja die Schönste aus allen!
    Zwar lustiger war's noch beym Schuster zu Haus,
    Viel leichter war's leinerne Leibel,
    Ich sah damahls auch g'rad nicht häßlicher aus,
    Mein Tücherl, mein Fürtuch und Häubel!
    Da sang ich ganz anders: tralarilala,
    Ich dudelte lustig: dadidada!
    Doch vornehm ist gescheidter, ist größer!
    Und reich seyn statt arm, das ist besser!

     


    Bewertung: 5 / 5

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    Moderne Monologe zum Vorsprechen: 
    Monologe für Männer / Schauspieler 

    Rolle: Beckmann 
    Stück: Draußen vor der Tür 
    Autor: Wolfgang Borchert 

    Erscheinungsjahr: 1947 
    Originalsprache: Deutsch
     


    5. Szene

    Beckmann und der Andere. 

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    1266019 349910170X XlBECKMANN: Träum ich? Seh ich alles verzerrt durch diese elende Gasmaskenbrille? Sind alles Marionetten? Groteske, karikierte Menschenmarionetten? Hast du den Nachruf gehört, den mein Mörder mir gewidmet hat? Epilog auf einen Anfänger: Auch einer von denen – du, Anderer! Soll ich leben bleiben? Soll ich weiterhumpeln auf der Straße? Neben den anderen? Sie haben alle dieselben gleichen gleichgültigen entsetzlichen Visagen. Und sie reden alle so unendlich viel, und wenn man dann um ein einziges Ja bittet, sind sie stumm und dumm, wie – ja, eben wie die Menschen. Und feige sind sie. Sie haben uns verraten. So furchtbar verraten. Wie wir noch ganz klein waren, da haben sie Krieg gemacht. Und als wir größer waren, da haben sie vom Krieg erzählt. Begeistert. Immer waren sie begeistert. Und als wir dann noch größer waren, da haben sie sich auch für uns einen Krieg ausgedacht. Und da haben sie uns dann hingeschickt. Und sie waren begeistert. Immer waren sie begeistert. Und keiner hat uns gesagt, wo wir hingingen. Keiner hat uns gesagt, ihr geht in die Hölle. Oh nein, keiner. Sie haben Marschmusik gemacht und Langemarckfeiern. Und Kriegsgerichte und Aufmarschpläne. Und Heldengesänge und Blutorden. So begeistert waren sie. Und dann war der Krieg endlich da. Und dann haben sie uns hingeschickt. Und sie haben uns nichts gesagt. Nur – Macht's gut, Jungens! haben sie gesagt. Macht's gut, Jungens! So haben sie uns verraten. So furchtbar verraten. Und jetzt sitzen sie hinter ihren Türen. Herr Studienrat, Herr Direktor, Herr Gerichtsrat, Herr Oberarzt. Jetzt hat uns keiner hingeschickt. Nein, keiner. Alle sitzen sie jetzt hinter ihren Türen. Und ihre Tür haben sie fest zu. Und wir stehen draußen. Und von ihren Kathedern und von ihren Sesseln zeigen sie mit dem Finger auf uns. So haben sie uns verraten. So furchtbar verraten. Und jetzt gehen sie an ihrem Mord vorbei, einfach vorbei. Sie gehn an ihrem Mord vorbei.  

     


    Bewertung: 5 / 5

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    Moderne Monologe zum Vorsprechen: 
    Monologe für Männer / Schauspieler 

    Rolle: Beckmann 
    Stück: Draußen vor der Tür 
    Autor: Wolfgang Borchert 

    Erscheinungsjahr: 1947 
    Originalsprache: Deutsch
     


    5. Szene, Schlußbild 

    Beckmann allein. 

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    1266019 349910170X XlBECKMANN: (wacht auf) Teck – tock – teck – tock!!! Wo bin ich? Hab ich geträumt? Bin ich denn nicht tot? Bin ich denn immer noch nicht tot? Teck – tock – teck – tock durch das ganze Leben! Teck – tock – durch den ganzen Tod hindurch! Teck – tock – teck – tock! Hörst du den Totenwurm? Und ich, ich soll leben! Und jede Nacht wird einer Wache stehen an meinem Bett, und ich werde seinen Schritt nicht los: Teck – tock – teck – tock! Nein! Das ist das Leben! Ein Mensch ist da, und der Mensch kommt nach Deutschland, und der Mensch friert. Der hungert und der humpelt! Ein Mann kommt nach Deutschland! Er kommt nach Hause, und da ist sein Bett besetzt. Eine Tür schlägt zu, und er steht draußen. Ein Mann kommt nach Deutschland! Er findet ein Mädchen, aber das Mädchen hat einen Mann, der hat nur ein Bein und der stöhnt andauernd einen Namen. Und der Name heißt Beckmann. Eine Tür schlägt zu, und er steht draußen. Ein Mann kommt nach Deutschland! Er sucht Menschen, aber ein Oberst lacht sich halbtot. Eine Tür schlägt zu und er steht wieder draußen. Ein Mann kommt nach Deutschland! Er sucht Arbeit, aber ein Direktor ist feige, und die Tür schlägt zu, und wieder steht er draußen. Ein Mann kommt nach Deutschland! Er sucht seine Eltern, aber eine alte Frau trauert um das Gas, und die Tür schlägt zu, und er steht draußen. Ein Mann kommt nach Deutschland! Und dann kommt der Einbeinige – teck – tock – teck – kommt er, teck – tock, und der Einbeinige sagt: Beckmann. Sagt immerzu: Beckmann. Er atmet Beckmann, er schnarcht Beckmann, er stöhnt Beckmann, er schreit, er flucht, er betet Beckmann. Und er geht durch das Leben seines Mörders teck – tock – teck – tock! Und der Mörder bin ich. Ich? der Gemordete, ich, den sie gemordet haben, ich bin der Mörder? Wer schützt uns davor, daß wir nicht Mörder werden? Wir werden jeden Tag ermordet, und jeden Tag begehn wir einen Mord! Wir gehen jeden Tag an einem Mord vorbei! Und der Mörder Beckmann hält das nicht mehr aus, gemordet zu werden und Mörder zu sein. Und er schreit der Welt ins Gesicht: Ich sterbe! Und dann liegt er irgendwo auf der Straße, der Mann, der nach Deutschland kam, und stirbt. Früher lagen Zigarettenstummel, Apfelsinenschalen und Papier auf der Straße, heute sind es Menschen, das sagt weiter nichts. Und dann kommt ein Straßenfeger, ein deutscher Straßenfeger, in Uniform und mit roten Streifen, von der Firma Abfall und Verwesung, und findet den gemordeten Mörder Beckmann. Verhungert, erfroren, liegengeblieben. Im zwanzigsten Jahrhundert. Im fünften Jahrzehnt. Auf der Straße. In Deutschland. Und die Menschen gehen an dem Tod vorbei, achtlos, resigniert, blasiert, angeekelt, und gleichgültig, gleichgültig, so gleichgültig! Und der Tote fühlt tief in seinen Traum hinein, daß sein Tod gleich war wie sein Leben: sinnlos, unbedeutend, grau. Und du – du sagst, ich soll leben! Wozu? Für wen? Für was? Hab ich kein Recht auf meinen Tod? Hab ich kein Recht auf meinen Selbstmord? Soll ich mich weiter morden lassen und weiter morden? Wohin soll ich denn? Wovon soll ich leben? Mit wem? Für was? Wohin sollen wir denn auf dieser Welt! Verraten sind wir. Furchtbar verraten. Wo bist du, Anderer? Du bist doch sonst immer da! Wo bist du jetzt, Jasager? Jetzt antworte mir! Jetzt brauche ich dich, Antworter! Wo bist du denn? Du bist ja plötzlich nicht mehr da! Wo bist du, Antworter, wo bist du, der mir den Tod nicht gönnte! Wo ist denn der alte Mann, der sich Gott nennt? Warum redet er denn nicht!! Gebt doch Antwort! Warum schweigt ihr denn? Warum? Gibt denn keiner Antwort? Gibt keiner Antwort??? Gibt denn keiner, keiner Antwort???   

     


    Bewertung: 4 / 5

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    Moderne Monologe zum Vorsprechen: 
    Monologe für Männer / Schauspieler 

    Rolle: Danton 
    Stück: Dantons Tod 
    Autor: Georg Büchner 

    Erscheinungsjahr: 1835 
    Originalsprache: Deutsch
     


    2. Akt, 4. Szene 

    Freies Feld. Danton allein. 

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    3226814 3226814 XlDANTON: Ich mag nicht weiter. Ich mag in dieser Stille mit dem Geplauder meiner Tritte und dem Keuchen meines Atems nicht Lärm machen. (Er setzt sich nieder; nach einer Pause:) Man hat mir von einer Krankheit erzählt, die einem das Gedächtnis verlieren mache. Der Tod soll etwas davon haben. Dann kommt mir manchmal die Hoffnung, daß er vielleicht noch kräftiger wirke und einem alles verlieren mache. Wenn das wäre! – Dann lief ich wie ein Christ, um einen Feind, d. h. mein Gedächtnis, zu retten. Der Ort soll sicher sein, ja für mein Gedächtnis, aber nicht für mich; mir gibt das Grab mehr Sicherheit, es schafft mir wenigstens Vergessen. Es tötet mein Gedächtnis. Dort aber lebt mein Gedächtnis und tötet mich. Ich oder es? Die Antwort ist leicht. (Er erhebt sich und kehrt um.) Ich kokettiere mit dem Tod; es ist ganz angenehm, so aus der Ferne mit dem Lorgnon mit ihm zu liebäugeln. Eigentlich muß ich über die ganze Geschichte lachen. Es ist ein Gefühl des Bleibens in mir, was mir sagt: es wird morgen sein wie heute, und übermorgen und weiter hinaus ist alles wie eben. Das ist leerer Lärm, man will mich schrecken; sie werden's nicht wagen! (Ab.)

     



    Bewertung: 3 / 5

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    Moderne Monologe zum Vorsprechen: 
    Monologe für Frauen / Schauspielerinnen 

    Rolle: Lucile 
    Stück: Dantons Tod 
    Autor: Georg Büchner 

    Erscheinungsjahr: 1835 
    Originalsprache: Deutsch 


    4. Akt, 4. Szene 

    Lucile und Camille 

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    3226814 3226814 XlLUCILE:

    (tritt auf. Sie setzt sich auf einen Stein unter die Fenster der Gefangnen.)

    Camille, Camille!

    (Camille erscheint am Fenster.)

    Höre, Camille, du machst mich lachen mit dem langen Steinrock und der eisernen Maske vor dem Gesicht; kannst du dich nicht bücken? Wo sind deine Arme? Ich will dich locken, lieber Vogel.

    (Singt:)


    Es stehn zwei Sternlein an dem Himmel,
    Scheinen heller als der Mond,
    Der ein' scheint vor Feinsliebchens Fenster,
    Der andre vor die Kammertür.

    Komm, komm, mein Freund! Leise die Truppe herauf, sie schlafen alle. Der Mond hilft mir schon lange warten. Aber du kannst ja nicht zum Tor herein, das ist eine unleidliche Tracht. Das ist zu arg für den Spaß, mach ein Ende! Du rührst dich auch gar nicht, warum sprichst du nicht? Du machst mir Angst.

    Höre! die Leute sagen, du müßtest sterben, und machen dazu so ernsthafte Gesichter. Sterben! ich muß lachen über die Gesichter. Sterben! Was ist das für ein Wort? Sag mir's, Camille. Sterben! Ich will nachdenken. Da, da ist's. Ich will ihm nachlaufen; komm, süßer Freund, hilf mir fangen, komm! komm!

    (Sie läuft weg.) 



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    Moderne Monologe zum Vorsprechen: 
    Monologe für Frauen / Schauspielerinnen 

    Rolle: Lucile 
    Stück: Dantons Tod 
    Autor: Georg Büchner 

    Erscheinungsjahr: 1835 
    Originalsprache: Deutsch 


    4. Akt, 8. Szene 

    Eine Straße. Lucile allein.

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    3226814 3226814 XlLUCILE: Es ist doch was wie Ernst darin. Ich will einmal nachdenken. Ich fange an, so was zu begreifen. Sterben – Sterben –! – Es darf ja alles leben, alles, die kleine Mücke da, der Vogel. Warum denn er nicht? Der Strom des Lebens müßte stocken, wenn nur der eine Tropfen verschüttet würde. Die Erde müßte eine Wunde bekommen von dem Streich. Es regt sich alles, die Uhren gehen, die Glocken schlagen, die Leute laufen, das Wasser rinnt, und so alles weiter bis da, dahin – nein, es darf nicht geschehen, nein, ich will mich auf den Boden setzen und schreien, daß erschrocken alles stehn bleibt, alles stockt, sich nichts mehr regt. Sie setzt sich nieder, verhüllt sich die Augen und stößt einen Schrei aus. Nach einer Pause erhebt sie sich. Das hilft nichts, da ist noch alles wie sonst; die Häuser, die Gasse, der Wind geht, die Wolken ziehen. – Wir müssen's wohl leiden. [...] Mein Camille! Wo soll ich dich jetzt suchen?

    (Sie läuft weg.) 



    Bewertung: 4 / 5

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    Moderne Monologe zum Vorsprechen: 
    Monologe für Frauen / Schauspielerinnen 

    Rolle: Marion 
    Stück: Dantons Tod 
    Autor: Georg Büchner 

    Erscheinungsjahr: 1835 
    Originalsprache: Deutsch
     


    1. Akt, 5. Szene 

    Marion und Danton 

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    3226814 3226814 XlMARION: Nein, laß mich einmal so. – Meine Mutter war eine kluge Frau; sie sagte mir immer, die Keuschheit sei eine schöne Tugend. Wenn Leute ins Haus kamen und von manchen Dingen zu sprechen anfingen, hieß sie mich aus dem Zimmer gehn; frug ich, was die Leute gewollt hätten, so sagte sie mir, ich solle mich schämen; gab sie mir ein Buch zu lesen, so mußt' ich fast immer einige Seiten überschlagen. Aber die Bibel las ich nach Belieben, da war alles heilig; aber es war etwas darin, was ich nicht begriff. Ich mochte auch niemand fragen, ich brütete über mir selbst. Da kam der Frühling; es ging überall etwas um mich vor, woran ich keinen Teil hatte. Ich geriet in eine eigne Atmosphäre, sie erstickte mich fast. Ich betrachtete meine Glieder; es war mir manchmal, als wäre ich doppelt und verschmölze dann wieder in eins. Ein junger Mensch kam zu der Zeit ins Haus; er war hübsch und sprach oft tolles Zeug; ich wußte nicht recht, was er wollte, aber ich mußte lachen. Meine Mutter hieß ihn öfters kommen, das war uns beiden recht. Endlich sahen wir nicht ein, warum wir nicht ebensogut zwischen zwei Bettüchern beieinander liegen, als auf zwei Stühlen nebeneinander sitzen durften. Ich fand dabei mehr Vergnügen als bei seiner Unterhaltung und sah nicht ab, warum man mir das geringere gewähren und das größere entziehen wollte. Wir taten's heimlich. Das ging so fort. Aber ich wurde wie ein Meer, was alles verschlang und sich tiefer und tiefer wühlte. Es war für mich nur ein Gegensatz da, alle Männer verschmolzen in einen Leib. Meine Natur war einmal so, wer kann da drüber hinaus? Endlich merkt' er's. Er kam eines Morgens und küßte mich, als wollte er mich ersticken; seine Arme schnürten sich um meinen Hals, ich war in unsäglicher Angst. Da ließ er mich los und lachte und sagte: er hätte fast einen dummen Streich gemacht; ich solle mein Kleid nur behalten und es brauchen, es würde sich schon von selbst abtragen, er wolle mir den Spaß nicht vor der Zeit verderben, es wäre doch das einzige, was ich hätte. Dann ging er; ich wußte wieder nicht, was er wollte. Den Abend saß ich am Fenster; ich bin sehr reizbar und hänge mit allem um mich nur durch eine Empfindung zusammen; ich versank in die Wellen der Abendröte. Da kam ein Haufe die Straße herab, die Kinder liefen voraus, die Weiber sahen aus den Fenstern. Ich sah hinunter: sie trugen ihn in einem Korb vorbei, der Mond schien auf seine bleiche Stirn, seine Locken waren feucht, er hatte sich ersäuft. Ich mußte weinen. – Das war der einzige Bruch in meinem Wesen. Die andern Leute haben Sonn- und Werktage, sie arbeiten sechs Tage und beten am siebenten, sie sind jedes Jahr auf ihren Geburtstag einmal gerührt und denken jedes Jahr auf Neujahr einmal nach. Ich begreife nichts davon: ich kenne keinen Absatz, keine Veränderung. Ich bin immer nur eins; ein ununterbrochenes Sehnen und Fassen, eine Glut, ein Strom. Meine Mutter ist vor Gram gestorben; die Leute weisen mit Fingern auf mich. Das ist dumm. Es läuft auf eins hinaus, an was man seine Freude hat, an Leibern, Christusbildern, Blumen oder Kinderspielsachen; es ist das nämliche Gefühl; wer am meisten genießt, betet am meisten.



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