''Als sich der Premierenvorhang schließlich hebt, ist festzustellen: Dafür interessiert sich Kosky nicht die Bohne. Lieber streut er seinem Bühnenpersonal dasselbe Juckpulver in den Schlüpfer, welches schon bei Die schöne Helena und dem Salzburger Orpheus in der Unterwelt zur Anwendung kam. Diesmal allerdings blickt man dem aufgekratzten Gerenne völlig überdrehter Paillettenhühner mit schnell zunehmender Genervtheit entgegen. Am deutlichsten zeigt sich das bei den Tänzer*innen, die erneut ekstatisch zuckende Ahhh-Ohhh-Schnippel-le-dingdong-Nummern zum Besten geben müssen - nur halt in anderen Kostümen. Die Gags spielen in einer Liga, in der ein blinder General - BUMM! - gegen Wände läuft oder die Grande-Duchesse kurze Nickerchen hält. Was jedoch wirklich zum Haareraufen ist: Mit diesem trivialen Klamauk, den bestrapsten Cancan-Beinen, frivolen Zoten und all dem Gekreische, bedient Kosky allerschlimmste Offenbach-Klischees.
Selbst der Coup, aus der Hauptpartie eine Rôle travesti zu machen, verpufft, weitestgehend, was nicht an Tom Erik Lie liegt, der seine Sache als baritonal gurrende, Falsett-flötende, Töne-wegkichernde und zarahleandernde Operettendiva ziemlich gut macht. Doch wie der übrige Cast kann auch Lie nicht verhindern, dass der Abend nicht zünden will. Ivan Turšić weiß mit dem Fritz nicht viel anzufangen; Jens Larsen singt einen preußisch polternden, grob geschnitzten Bumm; Tijl Faveyts, Christoph Späth und Christiane Oertel sind völlig unterfordert, und selbst Alma Sadé bleibt als Wanda merkwürdig blass. Was derweil aus dem Graben tönt, verströmt überwiegend Kurkapellencharme: Unter (der eingesprungenen) Alevtina Ioffe spielt das Orchester der Komischen Oper einen rundgelutschten, spannungsarmen, mitunter sogar klappernden Offenbach auf.'' schreibt Heiko Schon am 1. November 2020 auf
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