''Wie weit Sandra Hüller in der Rolle des Hamlet geht, zeigt sich, wenn das Publikum nach anderthalb Stunden den Raum verlässt, um sich etwa Pausengetränken und –imbiss zu widmen und damit den mit sich ringenden Hamlet alleine auf der Bühne zurücklässt. Nach und nach ließen zuvor der ganze Hofstaat von Dänemark Hamlet alleine. Der Onkel und Königsmörder Gunter (Stefan Hunstein) tat so, als sei Hamlet verrückt und völlig irre. Polonius glaubte, Hamlet sei in seine Tochter verliebt. Das Publikum wendet sich von Hamlet ab, weil es das Stück als Schauspiel sieht und in die Pause möchte.
Hamlet, der die schreckliche Tat seines Onkels erkannt hat und mit diesem Geheimnis lebt, versucht damit durchzudringen zu den Menschen in seiner Umgebung; zunächst indem er sein Wissen Ophelia mitteilt, indem er die Nähe zu seinen Freunden sucht, die ihm wohlwollend aber zunehmend irritiert und mit Distanz begegnen. Hamlet wird für krankhaft verliebt gehalten und spielt dies dann auch. Er wird für verrückt gehalten, und flüchtet sich auch in diese Rolle. Schließlich wird er für eine Schauspielerin gehalten, wenn das Publikum in die Pause geht. Es entsteht eine Situation, die den Performances von Marina Abramović ähnlich ist. Man kann im Raum bleiben und diese Spannung aushalten; versuchen, dem begegnen zu wollen, was von allen verlassen wurde und wird. Eine Verletzung bekommt keinen Raum und darf so nicht mit ins Leben geholt werden. Man kann versuchen dem nachzuspüren, was entsteht, wenn eine seelische Verletzung und ein Wissen um diese Zusammenhänge in einem Menschen sind. Trotzdem ist die Erfahrung der Verletzung so machtvoll, dass sie über Hamlet hinaus auf den Täter, die Mutter, Ophelia, alle Freunde und über den Hofstaat hinweg bin ins Publikum hinein wirkt.'' schreibt
Ansgar Skoda am20. Juni 2019 auf
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